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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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unbestimmte Zukunft verschob. Das Blatt wendete sich erst, als sie einem Potsdamer Mathematikprofessor mitteilte, dass er von einer Tante in Kanada geerbt habe. Der überraschte Mann rechnete ihr noch am Telefon die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Falles vor, lud Berit in sein Haus ein und studierte fasziniert den von ihr ausgerollten Stammbaum seiner Sippe. Berit kam von diesem Abend, Gabor fand kein treffenderes Wort, würdevoll gefasst zurück, als wäre sie Teil von etwas Großem geworden und hätte einen der raren Momente erlebt, in denen die unterirdischen Ströme des Lebens an die Oberfläche sprudeln, sichtbar, aber unbegreiflich. Sie sprach nicht viel über ihre Fälle, obwohl sie den Erfolg genoss. Ihr Lachen war hell und klar, ihre Bewegungen von selbstgewisser Ruhe.
    Berits Stimme war verstummt. Ein Summen lag in der Luft, knisternd und entfernt, als wäre die Atmosphäre elektrisch geladen. Wie unaufdringlich die mitteleuropäische Wärme im Gegensatz zur aggressiv die Sinne angreifenden Hitze des Südens doch war, dachte Gabor. Im Nachhinein blieb von den Wochen auf der Insel vor allem ein Eindruck von Unwirklichkeit, von fiebriger Aufgewühltheit, und er war auch in diesem Jahr froh, sie hinter sich gebracht zu haben.
    »Ach Sie sind das!«, hatte Karsten Sieverth am Nachmittag ausgerufen und mit ausgestrecktem Finger auf Gabors Namensschild gezeigt, als er ihm einen Besuch abgestattet hatte. »Ihre reizende Kollegin hat mir schon gesagt, dass ich eine angeborene Störung habe, die mir bisher nicht aufgefallen ist. Aber eine Störung, die nicht stört, ist ja wohl keine.«
    Der breitschädlige Mann sah ihm nicht in die Augen, sondern auf den Kragen. Dann irrte sein Blick eine Weile in Gabors Gesicht herum, bevor er sich wieder auf das ungefährliche Terrain unterhalb seines Kinns zurückzog. Ob aus Ärger oder Erkennungsschwäche: Sieverths Blickflucht war phänomenal.
    »Im Prinzip haben Sie natürlich recht«, sagte Gabor, und während er Sieverth ihr Vorgehen erklärte und die Tests und Übungen beschrieb, geschah, was meistens passiert, wenn Gabor mit Gesichtsblinden sprach: Etwas von Sieverths Unsicherheit ging auf ihn über, sein Blick glitt über Sieverths Züge wie über eine gleichförmige Landschaft auf der Suche nach dem einen, dem hervorstechenden Merkmal und blieb an der Haarsträhne hängen, die mit verwegenem Schwung in seine massige Stirn fiel wie ein störrisches Überbleibsel aus lange vergangener Jugend.
    »Sie behaupten also«, unterbrach ihn Sieverth, »ich bilde mir Ihre Nase, Ihren Mund und das alles nur ein. Was sehe ich stattdessen? Ein Loch?«
    Sieverth starrte Gabor an, als wollte er sein Gesicht aufspießen, um es sich mit Gewalt einzuprägen, und Gabor spürte, wie er dabei an Lebendigkeit verlor und zu einer Ansammlung bedeutungsloser Einzelheiten zerfiel, wie er, für einen schwindelerregenden Moment, geradezu unsichtbar wurde.
    »Natürlich sehen Sie«, hatte er geantwortet. »Sie sehen eher zu viel als zu wenig.«
    Das Weinglas war leer. Eine Weile schaute er in das verdorrte Gestrüpp der Hecke, in dem schon seit dem Winter eines von Maltes Plastikförmchen steckte, bevor er nach seinem Mobiltelefon griff. Yann meldete sich nach dem zweiten Klingeln, und obwohl er es nicht vorgehabt hatte, sagte Gabor ohne Begrüßung: »Was ist passiert, als ich im Urlaub war?«
    »Wie bitte?«
    Gabor versuchte seine Direktheit durch einen ironischen Unterton zu mildern.
    »Na, was ist passiert, als ich auf der Insel war?«
    Yann lachte verdutzt.
    »Gabor? Alles in Ordnung?«
    »Ich weiß es nicht.« Gabor war von seiner eigenen Schroffheit erschrocken. »Heute kam Lavinia zu mir. Sie will als verantwortliche Autorin schreiben.« Er machte eine Pause. »Aber eigentlich hat sie sich beschwert. Über dich.«
    Schweigen. Dann fragte Yann: »Und?«
    »Das frage ich dich.« Keiner von ihnen sagte etwas. Yanns lauerndes Warten vergrößerte seinen Ärger nur.
    »Was?«, sagte er. »Du glaubst, ich hätte was mit ihr angefangen?«
    »Was weiß denn ich? Wieso führt sie sich so auf? Sie ist ehrgeizig, aber nicht dumm. Der Auftritt hätte sie den Kopf kosten können.«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Im Hintergrund ein Rauschen, das immer wieder abriss, als führe Yann beim Telefonieren Rad oder stünde auf einem windigen Berg. Für einen Moment tat Gabor seine Heftigkeit leid, doch dann stieg der Ärger über Yanns Schlampigkeit wieder auf. »Und das nächste Mal informierst du mich

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