Gespenst aus der Zukunft
stimmten – eine Art Tarnung durch Worte. Aber wie wußte man dann, was die »Wahrheit« war? Wie weit von der Realität hatten sich diese Menschen entfernt?
Und doch – und doch war diese gepeinigte, gequälte, verschüchterte Schar von Tieren einmal aus den Wäldern gekommen, nackt und unwissend und schutzlos; und in weniger als zehntausend Jahren hatten sie gelernt, wie man Atome spaltete. Nun träumten sie von der Eroberung des Raumes.
Zehntausend Jahre! Ushtu dachte nach und merkte, daß im Leben der Schwärme seit fast einer Million von Jahren keine bedeutsame Änderung eingetreten war. Was konnte die Alte Rasse alles erreichen? Getrieben von der eigenen Einsamkeit, erhoben sie sich über ihre Grenzen und strebten nach den Sternen; und an dem Tage, an dem ihre Sonne erkaltete, würde ihre Geschichte erst beginnen.
Doch das stimmte nicht. Irgendwann innerhalb dieser Epoche würden sie verschwinden – ohne Erinnerungen zu hinterlassen. Ein vernichtetes, vergessenes Volk.
Die Weite und Unsicherheit des Universums kam Ushtu mit schrecklicher Deutlichkeit vor Augen. Um ihrer eigenen Zukunft willen mußten die Schwärme seiner Rasse erfahren, was diese verrückten, sorgengeplagten und herrlichen Wesen vernichtet hatte, so daß sie sich dagegen schützen konnten. Seine Mission hatte nichts mit Neugier zu tun – es ging um das Überleben seines Volkes.
Er dachte an die beiden ersten Menschen, denen er begegnet war. Die Gedanken, die er von ihnen aufgefangen hatte, waren im Vergleich zum Durchschnitt scharf und klar gewesen – neurotisch vielleicht, aber keineswegs verrückt. Sie hatten versucht, die Agenten des Staates zu töten, gewiß – aber konnte es nicht sein, daß diese Agenten den Tod verdienten?
Wenn die beiden noch lebten, könnte es nützlich sein, noch einmal mit ihnen zu reden. Als der kurze Wintertag sich seinem Ende zuneigte, war Ushtu zu einem Entschluß gekommen. Er würde die Rebellen suchen.
Ushtu öffnete die versperrte Gittertür und betrat eine so winzige Zelle, daß der Mann darin bis an die gegenüberliegende Mauer zurückweichen mußte, um ihm genügend Platz zu verschaffen. Das gedämpfte Leuchten seines Energieschilds war das einzige Licht. Die Wächter, an denen er sich ungesehen vorbeigeschlichen hatte, befanden sich außerhalb des großen Zellenblocks. Die anderen Gefangenen hier, die noch nicht schliefen, dösten auf Ushtus Befehl hin ein. Er war allein mit dem Mann, den er gesucht hatte.
Boris sah ihn gleichgültig an. Das hagere, blutverschmierte Gesicht hob sich gegen die undurchdringliche Dunkelheit dahinter ab. Als er sprach, war seine Stimme tonlos. »Sie sind also wiedergekommen. Es war kein Traum.«
Ushtu kauerte sich auf den feuchten Boden und stützte sich mit dem Schwanz ab. Er sah dem Menschen nicht in die Augen. Es stand zuviel Anklage in ihnen.
»Ich nehme an, Sie haben uns gelähmt«, fuhr Boris fort. »Sonst hätten wir eine schwache Chance gehabt, uns freizukämpfen.«
»Ich war mit den Zuständen dieser Epoche nicht vertraut«, erwiderte Ushtu. »Der Schock beim Anblick des Mordversuches hat mich zu einer Tat verleitet, die vielleicht falsch war. Aber wo ist der andere, Rojanski? Ich konnte Sie finden, weil Sie ein charakteristisches Gedankenschema haben, aber er ist nicht in diesem Gebäude.«
»Nein, sie müßten ihn an einen anderen Ort gebracht haben«, sagte Boris. »Sehen Sie, er ist international bekannt – sie können mit ihm nicht so umspringen wie mit einem unbekannten kleinen Physiker. Außerdem hat er ein schwaches Herz; wenn er beim Verhör sterben würde, wäre es peinlich.« Er zuckte mit den Schultern. »Schätzungsweise haben sie ihn aus der Stadt gebracht und überlegen, was sie jetzt mit ihm tun sollen.«
»Aber Sie ... man hat ... Sie sind verletzt«, stammelte Ushtu.
»Oh, es ist nicht so schlimm – noch nicht.« Das schiefe Grinsen sah furchtbar aus. »Ich habe ein paar Zähne verloren. Vermutlich ist auch eine meiner Nieren nicht mehr in Ordnung, und dann bin ich natürlich groggy. Aber sie sind jetzt ziemlich sicher, daß ich keiner größeren Organisation angehöre, und so werden sie sich die Verhöre ersparen und mich gleich erschießen.«
»Was haben Sie getan? Weshalb behandelt man Sie so?«
Boris zuckte mit den Schultern. »Ich bin ein Staatsfeind.«
»Soviel ist klar«, meinte Ushtu trocken. »Weshalb?«
»Oh – das ist eine lange Geschichte.« Die Stimme war müde. »Ich hatte schon immer an der Notwendigkeit
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