Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gespenst aus der Zukunft

Gespenst aus der Zukunft

Titel: Gespenst aus der Zukunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivan Howard (Hrsg.)
Vom Netzwerk:
wahnsinnig.
    Ushtu erkannte es mit einem kribbelnden Gefühl des Ekels. Die Stadt war kein Schwarm; sie war ein sinnlos zusammengewürfelter Haufen aus Einzelwesen, deren Gehirne stumm blieben – und doch, auf irgendeine bösartige Weise lebte die Stadt. Sie war ein Teil des Staates, des allmächtigen Staates, dessen Agenten durch die leeren Straßen zogen und mitten in der Nacht an Türen klopften. Und aus den Fragmenten, die Ushtu während seiner Wanderung durch die leeren Winterstraßen auffing, gewann er den Eindruck, daß der Staat irgendwie ein Feind war.
    Und doch – was konnte der Staat anderes sein als eine Schöpfung der gleichen Wesen, die er so unerträglich verängstigte? Der Staat war kein Schwarm, er war ein Mythos, ein Wort – wie konnte er in all den geflüsterten Unterhaltungen vorkommen, in all den unausgesprochenen Gedanken, wenn nicht als der Alptraum eines kranken Gehirns?
    War die Alte Rasse wahnsinnig?
    Aber was war »normal«?
    Ushtu schüttelte den Kopf. Er konnte sich aus dem Gewirr nicht befreien.
    Heimweh stieg in ihm auf, bis er stehenbleiben und sich zur Ruhe zwingen mußte. Die klare, nackte, windige Einsamkeit seiner Wüsten, staubige Dornensträucher über kühlem Wasser, die schillernde Schönheit eines großen Kraters aus der Zeit des großen Umsturzes und immer und überall die lebendige Anwesenheit seiner Rasse – die jetzt noch ungeboren war! Er war ein Gespenst aus der Zukunft, das eine Welt heimsuchte, die seit fünfzig Millionen Jahren im Grabe lag, und er sog schluchzend die stechendkalte Luft ein und sehnte sich nach der Wärme, die nirgends war.
    Allein – kein Wesen des ganzen Universums war je so einsam gewesen.
    Ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung kehrte zurück. Es wurde heller. Ein fahles Grau tastete sich über den südöstlichen Himmel und floß zwischen die hohen, schwach umrissenen Häuser. Er mußte ein Versteck finden.
    Das war nicht schwer. Ushtu betrat das Kellergeschoß eines großen Gebäudes, indem er mit seinem Magnetstrahler die Türen öffnete und wieder hinter sich schloß, und rollte sich dankbar neben der Wärme eines Ofens zusammen. Danach mußte er nur noch die Sinneswahrnehmungen des Hausmeisters ausschalten. Zwischen kleinen Schlafpausen durchforschte er telepathisch die Stadt.
     
4
     
    Nun konnte Ushtu den Gesprächen der Menschen schon auf beträchtliche Entfernung folgen, ohne die Worte hören zu müssen. Es war erstaunlich, wie viele Informationen er sammeln und was er daraus machen konnte. Aber es half nicht viel; diese Geschöpfe waren einfach zu fremdartig. Sie waren nicht die besessenen Wahnsinnigen, für die er sie gehalten hatte – nicht ganz. Es war Wärme in ihnen, Liebe und Humor und Hoffnung wider alle Vernunft – eine Mutter und ihre Jungen; ein Weibchen mit seinem Partner; ein Handwerker, der sich über seine Arbeit beugte und Freude daran empfand; ein Lied; traurige Zärtlichkeit, die nach Erfüllung drängte und nie erhört wurde. Man konnte diese Wesen lieben und die Tapferkeit bewundern, mit der sie ihrer grausamen Welt begegneten.
    Denn es war eine harte und bittere Existenz; es war, als läge die Kälte der zurückweichenden Gletscher immer noch im Herzen des Landes. Es war nicht das Schlimmste, daß die meisten von ihnen arm waren – ärmlich genährt, ärmlich gekleidet, ärmlich untergebracht, verstrickt in den grauen Alltag, der die hellen Träume von früher immer schwächer werden ließ. Schlimmer war, daß sie Angst hatten. Ihr ständiger Begleiter war der Alptraum der Angst.
    Sie hatten Angst vor dem Staat und seinen Agenten. Sie hatten Angst vor den anderen Staaten – irgendwo draußen in der Welt – und bereiteten alles vor, um sie zu vernichten, auch wenn sie keinen Grund dafür wußten. Sie hatten Angst vor Tod, Hunger, Schmerz, Krankheit – alles Geschicke, die man in Betracht ziehen mußte. Sie hatten Angst voreinander. Nachbar beobachtete Nachbar und fragte, ob er ein Spion war, der ihn denunzieren würde. Man fragte sich auch, was aus jenen geworden war, die man mitten in der Nacht fortgeholt hatte. Und – so groß war ihre Anpassungsfähigkeit – die meisten von ihnen waren sich nicht einmal darüber im klaren, was für ein entsetzliches Leben sie führten; die meisten von ihnen akzeptierten es als völlig normal und unabänderlich und genossen seine kleinen Freuden.
    Ushtu erkannte gewisse Möglichkeiten der Gedankenübermittlung. Man sagte Dinge, von denen man wußte, daß sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher