Gesponnen aus Gefuehlen
Medaillons. Drohend versperrte es den Weg zu den Bewohnern des Anwesens. Lucy biss sich auf die Unterlippe. Das milde Klima von gestern Abend hatte einem schneidenden Wind Platz gemacht. Das passte viel besser zu ihrer Situation, dachte sie zynisch. Die uralten Eiben am Straßenrand sahen aus, als ob sie das Haus seit mindestens hundert Jahren beobachteten. Lucy fragte sich, was sie alles gesehen hatten. Vor dem Tor im Kies hatte Nathans Mutter gekauert und nach ihrem Sohn geschrien. Irgendwo da drin waren die Bücher. Das spürte sie, auch wenn Nathan ihr nicht verraten hatte, wo die Perfecti die Schutzbücher verwahrten. Nirgendwo waren sie sicherer und ihretwegen war sie hier.
Plötzlich begann das Tor, sich mit einem Surren zu öffnen. Lucy erstarrte. Dann flüchtete sie in ihr Auto und kauerte sich auf dem Vordersitz zusammen. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Hatte jemand sie gesehen? Sie hätte schwören können, die Mauern des Anwesens waren hoch genug, dass man nicht sehen konnte, was auf der Straße vorging. Aber was, wenn sie Kameras hatten? Lucy schlug mit dem Kopf auf den Beifahrersitz. Natürlich hatte so ein Haus eine Überwachungsanlage. Wie blöd war sie eigentlich! Nur weil alles aussah, als wäre es dem Mittelalter entsprungen, verzichtete Batiste de Tremaine bestimmt nicht auf moderne Hilfsmittel. Sie musste weg, bevor einer dieser Hunde die Autotür aufriss. Das Auto – bestimmt hatte Sirius das Auto erkannt. Weshalb hatte sie es nicht gewechselt?
Lucy setzte sich wieder auf. Das Tor hatte sich in der Zwischenzeit vollständig geöffnet. Sie startete den Wagen. Vielleicht schaffte sie es rechtzeitig fortzukommen. Sie gab Gas und wendete. Wenn bis jetzt niemand in dem Haus auf sie aufmerksam geworden war, dann jetzt bestimmt, schalt sie sich beim Geräusch des aufheulenden Motors. Vielleicht hätte sie mit Colin mehr James-Bond-Filme schauen sollen. Aber dabei war sie immer eingeschlafen. Sie musste sich konzentrieren. Lucy reduzierte ihre Geschwindigkeit und beobachtete die Straße. Aus dem Tor kam weder eine Horde abgerichteter Kampfhunde noch eine Eliteeinheit. Heraus kam ein roter Mini. Lucys Anspannung entlud sich in einem hysterischen Auflachen. Egal wer in dem Gefährt saß, zu fürchten brauchte sie ihn sicher nicht. Wahrscheinlich war es eine Bedienstete.
Bedienstete? Lucy fuhr langsamer. Vielleicht konnte der- oder diejenige ihr Auskunft darüber geben, ob Nathan in dem Haus war und wie es ihm ging. Der Mini holte auf. Lucys Blick glitt von der Fahrbahn vor ihr zum Rückspiegel. Das Gefährt hatte sie fast eingeholt. Es setzte den Blinker und fuhr an ihr vorbei. Hinter dem Steuer saß die ältere Frau, die Lucy bei ihrem kurzen Aufenthalt im Landhaus gesehen hatte. Sie hatte mit Nathan im Garten gesprochen und die Speisen aufgetragen. Es gab keinen Zweifel. Das war Sofia, die Frau, der Nathans Eltern ihr Kind anvertraut hatten.
Um den Kopf hatte sie ein Kopftuch geschlungen, was so gar nicht zu dem Auto passte. Langsam folgte sie dem Wagen. Als sie sah, dass die Frau vor der Bäckerei am Marktplatz des Dorfes hielt, parkte sie ebenfalls und wartete. Sofia holte einen Korb vom Rücksitz und ging in den Laden. Kurz entschlossen stieg auch Lucy aus und folgte ihr. Als sie die warme Backstube betrat, wehte ihr der köstliche Duft von frischgebackenem Brot und Kuchen entgegen. Sofia wandte sich nicht zu ihr um.
»Was kann ich für dich tun, Sofia?«, fragte die Verkäuferin, die in diesem Moment aus einem hinteren Raum an den Tresen trat.
Sofia bestellte Kuchen und verschiedene Brötchensorten.
»Ich habe auch Nathans Lieblingskuchen«, sagte die Bäckersfrau. »Er ist doch hier, oder?«
Sofia wirkte so verwirrt wie Lucy, als Nathans Name fiel. Doch sie fing sich schnell.
»Ja. Woher weißt du das? Er ist für ein paar Tage zu Besuch.«
»Ich habe ihn neulich vorbeifahren sehen, mit den beiden Bodyguards von de Tremaine«, sagte die Frau mit abfälligem Unterton, wie Lucy meinte.
»Er sah blass aus und da dachte ich, ich backe seinen Kuchen.«
Lucys Herz zog sich zusammen.
Sofia lachte. »Dann pack mir zwei Stücke davon ein. Er wird sich freuen.«
Er hatte blass ausgesehen? Ob er verletzt war?
»Entschuldigen Sie«, wandte Sofia sich plötzlich zu ihr um. Lucy sah genau den Schreck, der sich auf dem Gesicht der Frau abzeichnete, als diese sie erkannte. »Vielleicht möchten Sie Ihre Bestellung aufgeben, bei mir dauert es noch ein bisschen«, sagte sie langsam.
»Ja. Vielen
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