Gesprengte Ketten
Gesa Wieland lachend. "Mach ihr ein Brot mit Camembert."
Manfred Wieland, der noch nicht gefrühstückt hatte, setzte sich an den Tisch und griff nach der Kaffeekanne. Zufrieden blickte er über seine Kinderschar. Er liebte jede einzelne seiner Töchter, auch wenn es Tage gab, an denen er sich nach einem Sohn sehnte. Nun, man konnte nicht alles haben, was man wollte und er durfte sich glücklich schätzen, dass seine Kinder gesund und munter waren. Andere Leute hatten nicht so viel Glück.
"Na, was macht dein Brummschädel, Manfred?", erkundigte sich G esa Wieland spöttisch bei ihrem Mann.
"Was ist so schlimm dabei, wenn ich mal ein bisschen über die Stränge schlage?"
"Nichts, Vati", warf Jessica ein. "Lass dir von Mutti nicht die Hölle heiß machen." Sie griff nach ihrem Schulrucksack und ging zur Tür. "Bis heute Nachmittag!" Eilig verließ sie die Wohnung, froh, für ein paar Stunden ihrer lauten Familie zu entkommen.
Gesa Wieland trank ihren Kaffee aus. "Ich fahre die Kinder zur Schule und zum Kindergarten", sagte sie. "Hilfst du Jessica und mir heute Nachmittag beim Putzen, Melina?"
"Und was bekomme ich dafür?" Melina griff nach ihrer Schultasche.
"Einen Euro."
"Gut, ich helfe", versprach die Neunjährige.
"Und was bekomme ich?", fragte Carmen. "Ich kann auch beim Pu tzen helfen."
"Dazu bist du noch zu klein." Gesa nahm die Kindergartent asche ihrer Jüngsten. "Sagt dem Vati auf Wiedersehen."
Manfred Wieland bekam zwei flüchtige Küsschen von Carmen und Melina, und einige mehr von Franziska.
"Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!" Die Kinder winkten, bevor sie die Küche verließen.
"Bis nachher, Manfred. Auf dem Rückweg werde ich noch ei nkaufen", sagte Gesa. "Kinder macht nicht so einen Krach", schimpfte sie, als ihre Töchter schreiend ins Treppenhaus liefen. Eilig folgte sie ihnen.
Manfred Wieland genoss die Stille, die einsetzte, als Gesa und die Kinder mit dem Aufzug nach unten fuhren. In aller Ruhe b eendete er sein Frühstück, öffnete weit das Küchenfenster und rauchte eine Zigarette. Zwar hatte er sich längst vorgenommen, endgültig mit dem Rauchen aufzuhören, aber ab und zu wurde er rückfällig. Für diese schwachen Stunden hatte er eine Schachtel Zigaretten auf dem Küchenschrank deponiert. Da Jessica für den Großputz in der Küche zuständig war, hatte seine Frau die Zigaretten noch nicht gefunden. Und auf seine 'Große' konnte er sich verlassen. Jessica hatte ihn noch nie verraten.
Nach dem Frühstück hatte der Hausmeister in der Tiefgarage zu tun. Er wollte gerade mit der Werkzeugkiste die Wohnung verlassen, als es klingelte. "Oh, Sie sind es Herr Professor", sagte er und trat beiseite. "Möchten Sie hereinko mmen?"
"Wenn ich darf, Herr Wieland", erwiderte der pensionierte Che farzt freundlich.
"Natürlich dürfen Sie, Herr Professor."
Prof. Dr. Waller war angenehm überrascht, als er feststellte, wie sauber und ordentlich die Wohnung trotz der drei kleinen Kinder war. Das hatte er nicht erwartet. Nirgends lag etwas herum. Er konnte auch keinen Staub entdecken.
"Habe ich Ihnen schon gesagt, wie zufrieden ich mit Ihrer A rbeit bin, Herr Wieland?"
"Nein, das haben Sie noch nicht", antwortete Manfred Wieland. "Es freut mich, dass Sie mit meiner Arbeit zufrieden sind, Herr Professor, dennoch sind Sie gewiss nicht nur gekommen, um mir das zu sagen."
"In der Tat nicht, Herr Wieland", gab Prof. Dr. Waller zu. "Es geht um den Krach, den Ihre Kinder im Treppenhaus machen. Bitte seien Sie mir nicht böse, ich muss mit Ihnen darüber sprechen. Es hat bereits Beschwerden gegeben. Neulich haben Melinas Freunde sogar eine junge Frau zur Seite gedrängt, die die Treppe hinunter gestiegen ist."
"Ich werde mich darum kümmern, Herr Professor", versprach der Hausmeister. "Ich habe den Kindern schon hundertmal gesagt, dass sie niemanden belästigen dürfen."
"Wie oft haben uns unsere Eltern ermahnt, höflich und zuvorkommend zu sein", meinte der Professor nachsichtig. "Wir sind auch meistens taub auf diesem Ohr gewesen."
"Danke für Ihr Verständnis, Herr Professor", erwiderte Ma nfred Wieland. "Ich werde mir die drei noch einmal vorknöpfen."
"Mehr verlange ich nicht." Prof. Dr. Waller verabschiedete sich und kehrte in seine Wohnung zurück. Er gab sich nicht der Illus ion hin, dass sich der Krach im Treppenhaus von heut auf morgen abstellen ließ. Es würde einige Zeit und noch einiger Ermahnungen bedürfen, doch nach und nach würden seine Worte gewiss auf fruchtbaren Boden
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