Gesprengte Ketten
mich jederzeit anrufen, auch in der Nacht."
"Ich werde daran denken", versprach Laura. "Danke, Doktor Marquard." Sie erhob sich.
Der Arzt brachte seine Patientin zur Tür. "Lassen Sie sich bitte an Rezeption einen neuen Termin geben, Frau Ravens", bat er. "Wir sehen uns in etwa vierzehn Tagen."
Laura verließ die Praxis. Nachdenklich drückte sie auf den Rufknopf des Aufzugs. Diesmal hatte sie ihren Wagen in der Tie fgarage geparkt. An und für sich wartete zu Hause jede Menge Arbeit auf sie. Trotzdem hatte sie keine Lust, schon nach Hause zu fahren. Es war kurz vor zwölf. Jannic hatte in einer Viertelstunde Mittagspause.
Die junge Frau verließ die Tiefgarage und parkte kurz im Hof des Ärztehauses. Auf ihrem Handy wählte sie die Büronummer ihres Freundes.
"Das nenne ich eine nette Überraschung", sagte Jannic Eckstein, als er Lauras Stimme hörte. "Was sagt Doktor Marquard?"
Es freute Laura, dass sich Jannic an ihren Arztbesuch erinnerte. "Ich habe endlich eine Diagnose", erwiderte sie. "Einzelheiten erzähle ich dir später. Es ist nichts, was nicht wieder in Ordnung zu bringen wäre."
"Gott sei Dank!"
"Hast du Lust, heute sich Mittag mit mir essen zu gehen?"
"Na, das ist ein Angebot", antwortete Jannic Eckstein. "Treffen wir uns in zehn Minuten vor der Versicherung."
"Ich werde pünktlich sein", versprach Laura und verabschi edete sich von ihm. Sie atmete tief durch, bevor sie die Nummer ihrer Eltern wählte. Wie sie ihre Eltern kannte, würden sie sich nicht darüber freuen, dass sie zum Mittagessen nicht nach Hause kommen wollte.
Ihr Vater nahm den Hörer. Obwohl er wusste, dass sie einen Termin bei Dr. Marquard gehabt hatte, kam er nicht auf den G edanken, sie zu fragen, was der Arzt gesagt hatte. Nach wie vor nahmen weder er noch seine Frau die Beschwerden ihrer Tochter ernst. Als ihm Laura sagte, dass sie mit Jannic zum Essen gehen würde, fragte er empört:
"Und was ist mit uns? Wer macht das Mittagessen? Ich kann nicht kochen."
"Ich habe das Mittagessen schon vorbereitet. Es steht alles im Kühlschrank. Charlotte muss es nur wärmen."
"Das wird was geben", meinte Günther Ravens. "Also, Laura, ich finde das ziemlich rücksichtslos von dir."
Eingedenk der Worte Dr. Marquards antwortete die junge Frau: "Es wird Charlotte nichts schaden, sich auch mal um das Mittagessen zu kümmern. Ich muss auflegen, Papa, Jannic wartet auf mich. Tschüss!" Bevor ihr Vater noch etwas entgegnen konnte, hatte sie bereits das Handy ausgeschaltet.
Minutenlang saß Laura fast bewegungslos hinter dem Steuer. Sie hatte es tatsächlich geschafft, gegen den Willen ihrer Familie zu handeln.
Laura musste nicht lange auf ihren Freund warten. Zwei Minuten vor der verabredeten Zeit trat er durch die offene Glastür des Versicherungsgebäudes. Der leichte Wind, der im Laufe des Vormittags aufgekommen war, zersauste seine braunen Haare und verlieh seinem markanten Gesicht etwas von einem Lausbub. Automatisch strich er die Haare zurück, bevor er Laura flüchtig in die Arme nahm.
Sie gingen zum Mittagessen in ein kleines Restaurant, das in der Fußgängerzone von Burghausen lag. Ihr Tisch stand unter einer Kastanie im Freien. Der junge Versicherungskaufmann war glücklich, dass es seiner Freundin endlich einmal gelungen war, über ihren Schatten zu springen und ihrer Familie Widerpart zu leisten. Außerdem stand nun fest, dass sie sich ihre Beschwerden nicht nur eingebildete. Er schämte sich, weil er auch manchmal den Verdacht gehabt hatte, sie würde sich regelrecht in eine Krankheit flüc hten.
"Ich bin froh, dass du zu Doktor Marquard gegangen bist. Das war eine sehr gute Entscheidung, Liebling." Jannic Eckstein sah sie über sein Glas hinweg an. "Habe ich dir schon gesagt, dass ich Doktor Marquard flüchtig kenne? Er wohnt in unserer Nachba rschaft. Anna ist ab und zu bei seinen Kindern Babysitter."
"Du hast es erwähnt, als ich davon sprach, dass ich ihn aufs uchen will", erwiderte Laura. Sie probierte von ihrem Nudelsalat. "Schmeckt ausgezeichnet."
"Schön, dass dir das Essen wieder schmeckt." Jannic griff über den Tisch und nahm ihre Hand. "Ich habe mir große Sorgen um dich gemacht." Er ließ ihre Hand los. "Was hältst du davon, wenn wir am Sonntag zum Waldsee fahren? Wir könnten schon am fr ühen Vormittag aufbrechen. Bei dem schönen Wetter könnten wir den ganzen Tag dort verbringen. Wir sollten auch Badesachen mitnehmen."
Laura dachte flüchtig an ihre Familie, an die Mutter, die ihre Hilfe erwartete,
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