Gesprengte Ketten
sich Marie Lara. "Haben wir auch eine Krone auf dem Kopf?"
"Sie ist noch so klein", erklärte Sophie nachsichtig. "Nur ric htige Prinzessinnen tragen eine Krone", sagte sie zu ihrer Schwester.
Laura Marquard brachte ihre Töchter zu Schule und in den Kindergarten. Ihr Mann wollte gerade in die Praxis fahren, als er zu einer Patientin gerufen wurde, die hohes Fieber hatte. Er rief Celine Barth an und sagte ihr, dass er erst noch einen Hausbesuch machen musste, bevor er in die Praxis kam. "Bitte vertrösten Sie die Patienten, die vor neun Uhr bestellt sind", bat er. "Ach ja, ich war in der vergangenen Nacht bei Gertrud Ravens, der Mutter von Laura Ravens. Sie hatte einen Angina-Pectoris-Anfall. Ich habe sie gebeten, heute Vormittag in die Praxis zu kommen. Wir mü ssen die Frau irgendwie einschieben."
"Ich werde mich darum kümmern, Doktor Marquard", ve rsprach die Sprechstundenhilfe.
Als Dr. Marquard mit einiger Verspätung in die Praxis kam, warteten bereits Laura und Gertrud Ravens auf ihn. Sie saßen auf zwei Stühlen, die gegenüber der Rezeption standen. Gertrud R avens hatte darauf bestanden, nicht ins Wartezimmer zu gehen. Sie war überzeugt, dass sie sofort an die Reihe kommen würde. "Immerhin wäre ich in der Nacht fast gestorben", hatte sie den Sprechstundenhilfen erklärt.
Julian Marquard trat zu den beiden Damen und begrüßte sie. "Wie geht es Ihnen, Frau Ravens?", erkundigte er sich freundlich und reichte Lauras Mutter die Hand.
"So leidlich", antwortete Gertrud Ravens. Ihre Hand ruhte schwer in seiner. "Meine Arthrose macht mir heute auch wieder zu schaffen. Ich hatte Mühe, in Lauras Wagen zu steigen."
Julian ließ ihre Hand los. "Wir uns werden später darüber u nterhalten, Frau Ravens", erwiderte er. "Es kann noch etwas dauern. Bitte nehmen Sie im Wartezimmer Platz." Er wandte sich an Laura: "Es ist nicht notwendig, dass Sie mit Ihrer Mutter warten", sagte er. "Sicher haben Sie einiges in der Stadt zu erledigen. Am besten, Sie lassen uns Ihre Handynummer da, damit wir Sie anrufen können, wenn Ihre Mutter fertig ist."
"Ich möchte nicht, dass Laura weggeht", protestierte Gertrud Ravens. "Was ist, wenn ich sie brauche?"
"Wenn Sie Hilfe brauchen, sind meine Sprechstundenhilfen auch noch da", antwortete Dr. Marquard. Er nickte ihr zu. "Bis später, Frau Ravens." Mit raschen Schritten ging er in das linke Sprechzimmer.
Laura stand auf. Sie war froh, ein bisschen Zeit für sich zu h aben. "Komm, Mama, ich bringe dich ins Wartezimmer."
Gertrud Marquard ließ sich von ihrer Tochter aufhelfen. Sie merkte nicht einmal, dass sie sich in ihrem Ärger besonders schwer machte. Stöhnend ließ sie sich wenig später auf einen der Stühle im Wartezimmer fallen. "Mir gefällt es nicht, wie man in dieser Praxis mit den Menschen umgeht", sagte sie missbilligend zu Laura.
Laura war die Bemerkung ihrer Mutter peinlich. "Bitte, Mama", flüsterte sie ihr zu, griff nach einem Journal und drückte es ihrer Mutter in die Hand.
"Ich habe keine Lust zum Lesen."
"Dann ruh dich aus, Mama", schlug ihr Laura vor. "Ich gehe dann." Eilig verließ die junge Frau das Wartezimmer.
"Du hast es auch nicht einfach, Laura", bemerkte Celine Barth, als Laura bei ihr die Handynummer hinte rließ.
"Meine Mutter kann ziemlich schwierig sein", gab Laura zu und verabschiedete sich.
Nach und nach füllte sich das Wartezimmer. Einige der Patienten kamen nur zur Blutabnahme, oder mussten gespritzt werden. Ein junger Mann humpelte auf zwei Krücken am Wartezimmer vorbei zur Rezeption. Gertrud Ravens sah ihn durch die offene Tür. "Warum geht es nicht der Reihe nach?", murrte sie, als er in einem der Zimmer verschwand.
"Vermutlich muss er nur zum Verbinden", bemerkte eine ältere Frau, die ihr gegenüber saß.
Annika Herziger, Celines Kollegin, steckte den Kopf durch die offene Tür. "Bitte kommen Sie, Frau Ravens", bat sie.
"Würden Sie mir bitte aufhelfen, ich habe schwere Arthrose", sagte Gertrud Ravens.
"Natürlich, Frau Ravens." Annika Herziger trat zu ihr. "Ich bringe Sie ins Labor, dort machen wir erst einmal ein EKG."
"Ich wünschte, meine Tochter wäre bei mir", sagte die Kranke, "leider hat Doktor Marquard Laura fortgeschickt."
"Das schaffen wir beide schon, Frau Ravens, seien Sie unbesorgt", versicherte Annika mit fröhlicher Zuversicht.
Gertrud Ravens ging schwerfällig am Arm der Sprechstunde nhilfe über den Gang. Es war Jahre her, seit zuletzt ein EKG bei ihr gemacht worden war. Nachdem sie sich ausgezogen
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