Gesprengte Ketten
Ruhe. Wenn sie..."
"Glauben Sie mir, Doktor Marquard, ich kenne Laura. Leider neigt meine Tochter dazu, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen." Gertrud Ravens seufzte auf.
"Möchten Sie, dass Ihre Tochter ernsthaft erkrankt, Frau R avens?", fragte Julian und bemühte sich, nicht die Geduld zu verlieren. Es würde Laura nichts helfen, wenn er ihre Mutter verärgerte. Er konnte nichts anderes tun, als nach und nach auf Gertrud Ravens einzuwirken.
Frau Ravens schüttelte den Kopf. "Nein, das möchte ich natü rlich nicht, Doktor Marquard", versicherte sie und griff nach dem Rezept, das er ihr erreichte. "Ich werde morgen früh zur Blutabnahme hier sein." Sie stand auf, in dem sie sich schwer auf den Schreibtisch stützte. "Danke für Ihre Hilfe."
Dr. Marquard brachte Gertrud Ravens ins Wartezimmer zurück und bat Celine Barth, Laura Ravens auf ihrem Handy anzurufen. So gern er sich noch länger mit seiner neuen Patientin unterhalten hätte, ihm fehlte die Zeit zu. Im Therapieraum wartete eine junge Frau auf ihn, der er eine Infusion legen musste, und im zweiten Sprechzimmer saß ein alter Mann, der an Parkinson litt. Nicht zum ersten Mal bedauerte er, zu wenig Zeit zu haben, um jedem seiner Patienten gerecht zu werden. Er wusste genau, dass es nicht nur darauf ankam, die Symptome einer Krankheit zu behandeln, so ndern oft ein längeres Gespräch mehr brachte, als Medikamente.
* * *
Laura erwachte an diesem Sonntagmorgen mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie freute sich so sehr auf den Ausflug mit Jannic, dass ihr weder die schlechte Laune ihres Vaters, noch das Jammern ihrer Mutter etwas ausmachten. Beschwingt kam sie ihren morgendlichen Aufgaben nach, bereitete das Frühstück und setzte sich kurz danach mit ihrer Familie an den Tisch.
"Doktor Marquard hat mir gesagt, dass ich mich sehr in Acht nehmen muss und mich vor allen Dingen nicht aufregen darf", bemerkte Gertrud Ravens und bat ihren Mann, ihr eine zweite Tasse Ka ffee einzuschenken.
"Gebe ich mir nicht alle Mühe, dich vor jeder Aufregung zu bewahren, Liebes?", fragte Günther Ravens.
"Ich habe nicht von dir gesprochen, Günther."
Laura dachte nicht daran, auf die Bemerkung ihrer Mutter ei nzugehen. Sie hatte jedes Recht, auch einmal einen Tag für sich zu fordern.
"Wann holt dich denn dein Jannic ab?", erkundigte sich Cha rlotte. "Ich muss heute Vormittag noch einen Aufsatz schreiben. Den Abwasch übernehme ich nicht."
"Jannic kommt in etwa zehn Minuten", sagte Laura. "Der A bwasch wird dich nicht umbringen, Charlotte. Ich habe früher auch das Gymnasium besucht und dennoch einen Teil der Hausarbeit erledigt."
"Als du das Gymnasium besucht hast, wurde von den Schülern auch weniger verlangt, Laura", mischte sich Günther Ravens ein.
"Charlotte ist gerade mal sechs Jahre jünger als ich, Papa, in dieser Zeit hat sich nicht sehr viel geändert", widersprach Laura. Sie wandte sich an ihre Schwester: "Das Mittagessen habe ich vorbereitet. Damit hast also nicht viel zu tun. Du kannst ja deinen Aufsatz am Küchentisch schreiben."
"Ich brauche meinen Schreibtisch für die Schularbeiten", e rklärte Charlotte.
"Am Küchentisch kommen nur Fettflecken auf die Arbeit", wandte Gertrud Ravens ein. "Nein, Charlotte, du erledigst deine Hausaufgaben in deinem Zimmer. Lieber essen wir etwas später. Für mich wären zwar pünktliche Mahlzeiten wichtig, aber so ist es eben im Leben. Wenn du auf die Hilfe anderer angewiesen bist, stehst du von vornherein auf der Verliererseite." Sie griff nach einem Brötchen. "Wegen meiner Arthrose macht sich Doktor Marquard übrigens auch Sorgen. Deshalb hat er mich zu Doktor Erlenbusch überwi esen."
Laura blickte verstohlen zur Küchenuhr. Sie konnte es kaum noch erwarten, bis Jannics Wagen vorfuhr. Endlich hörte sie ihn in die Auffahrt einbiegen. Sie stand auf, trank den letzten Rest Ka ffee aus ihrem Becher und stellte das gebrauchte Geschirr in den Ausguss.
Es klingelte.
"Ich gehe dann", sagte sie. "Verbringt einen schönen Tag."
"Du auch", wünschte Günther Ravens. "Wir werden uns schon i rgendwie behelfen."
"Mach's gut", kam es von ihrer Mutter.
Die junge Frau ging mit raschen Schritten in den Korridor, griff dort nach ihrer Tasche, die sie auf die Garderobe gestellt hatte, und riss die Haustür auf. "Ich bin so froh, dass du pünktlich bist, Jannic", sagte sie erleichtert darüber, ihrer Familie entfliehen zu können.
Jannic schloss seine Freundin in die Arme. "Endlich haben wir einmal einen ganzen Tag
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