Gesprengte Ketten
für uns."
Laura bemerkte, wie sich die Küchengardine bewegte. Impulsiv zog sie Jannic an sich und küsste ihn so leidenschaftlich, dass der junge Mann gar nicht wusste wie ihm geschah.
Engumschlungen gingen die jungen Leute zu seinem Wagen. Er löste sich von ihr und öffnete für sie die Tür des Beifahrersi tzes.
"Immer Kavalier", scherzte Laura glücklich.
"Man tut was man kann", konterte ihr Freund vergnügt, schlug die Tür zu und ging um den Wagen herum, um neben ihr Platz zu nehmen.
Charlotte trat vom Fenster zurück, als der Wagen rückwärts auf die Straße rollte. "Ihr hättet sehen sollen, wie sie ihn abgeknutscht hat", sagte sie verächtlich und setzte sich an den Es stisch.
"Du solltest dich schämen, Charlotte." Günther Ravens warf seiner jüngsten Tochter einen strafenden Blick zu. "Was würdest du s agen, wenn Laura dir nachspioniert?"
Das junge Mädchen sah seinen Vater verdattert an. "Was habe ich denn getan, Papa?", fragte es. "Du findest es auch nicht richtig, dass uns Laura einfach mit der Arbeit allein lässt."
"Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun."
"Charlotte ist nur ärgerlich, weil ihr Laura den Sonntag verdo rben hat", meinte Gertrud Ravens. "Du musst sie auch verstehen, Günther. Sie hat gestern den ganzen Tag gelernt." Sie ließ sich von ihrem Mann aufhelfen und ging auf seinen Arm gestützt ins Wohnzimmer, um sich dort einen Film anzusehen.
Laura konnte es noch gar nicht fassen, dass sie wirklich neben Jannic im Wagen saß und sie einen ganzen Tag für sich haben würden. Selten war ihr die Welt so schön erschienen, wie an di esem Morgen. Jannic hatte eine Kassette mit Liedern eingelegt, die sie beide liebten. Sie unterhielten sich auf der Fahrt zum Waldsee über alles mögliche. Der junge Mann sprach von Kanada, wo er vor einigen Jahren mit seinen Eltern gewesen war. Er erzählt ihr von den Niagara Fällen und wie unendlich klein er sich vor ihnen gefühlt hatte.
"Ich würde dir so gern Kanada zeigen", sagte er. "Ich stelle es mir wunderbar vor, mit dir durch Kanada zu reisen. Nur wir beide, du und ich." Liebevoll legte er eine Hand auf ihr Knie.
"Als ich noch zur Schule ging, habe ich auch davon geträumt, eines Tages durch die Welt zu reisen", gestand Laura. "Ich wollte jedes Jahr woanders Urlaub machen. Früher sind meine Eltern viel mit uns gereist. Es gab keine Ferien, in denen wir nicht unterwegs gewesen sind. Dann ist meine Mutter krank geworden und hatte keine Lust mehr zum Reisen. Inzwischen genügt es ihr völlig, die Welt durch den Fernseher zu sehen."
"Das ist schade", meinte Jannic. "Im übrigen nicht nur für de ine Eltern, sondern auch für deine Schwester."
So hatte Laura das noch nicht gesehen. "Das ist wahr, denn wir haben schon seit Jahren keine gemeinsamen Reisen mehr unte rnommen. Charlotte kennt seit fünf, sechs Jahren nur noch das Ferienlager."
Sie hatten Murrhardt längst hinter sich gelassen und waren zum Waldsee abgebogen. Durch die offenen Fenster des Wagens klang der Gesang der Vögel. Es duftete nach frischem Heu, Wald und Blumen. Einmal mussten sie einem Pferdefuhrwerk ausweichen, auf dem einige junge Burschen und Mädchen in Tracht saßen. Fröhlich winkten sie ihnen zu.
Und dann hatten sie den Waldsee erreicht. Jannic fuhr auf den Parkplatz. Sie hatten Glück, noch einen freien Platz für ihren Wagen zu finden, denn bei diesem schönen Wetter hatten viele Leute dieselbe Idee gehabt. Hand in Hand folgten sie dem Weg, der zum See, seinen Restaurants und Freizeitangeboten führte.
"Vielleicht sollte ich zu Hause anrufen und fragen, ob alles in Ordnung ist", meinte Laura unsicher. Sie wollte nach ihrem Handy greifen.
Jannic hielt ihre Hand fest. "Nein, tu' das nicht, Liebling. Glaube mir, es wäre ein Fehler. Deine Familie kann auch mal einen Tag ohne dich auskommen."
Lauras sah ein, dass er recht hatte. Sie nickte. "Ich hatte mir vorgenommen, heute einmal nicht an meine Familie zu denken." Sie schmiegte sich an ihn.
Da es noch zu kühl zum Baden war, unternahmen sie erst einmal einen Spaziergang am See entlang und folgten später einem Weg, der direkt in den Wald hineinführte. Laura atmete in tiefen Zügen die herrliche Waldluft ein. Ihre Füße sanken weich ins Moos. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so wohl gefühlt, wie an diesem Tag. Es gelang ihr sogar, ihre Eltern und ihre Schwester für einige Stunden zu vergessen. Immer wieder blieben Jannic und sie stehen, um einander in die Augen zu sehen, sich zu versichern, wie
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