Gestaendnis im Orchideengarten
waren diese zweifellos viktorianischen Gewächshäuser schmuckvoller und ungewöhnlicher als alles, was er je zuvor gesehen hatte. Ihr Baustil erinnerte an gotische Kirchen oder mittelalterliche Klöster mit hohen Decken und Giebeln. Kleine architektonische Perlen, denen man die handwerkliche Präzision und Liebe zum Design ansah.
Er war völlig fasziniert.
Als er vor dem bunt bemalten Gatter an der Vorderseite des Fachwerkhauses stand, fühlte er sich endgültig in ein Postkartenmotiv des idyllischen Englands zu Zeiten von Queen Victoria hineinversetzt.
Am Eingang war ein Blumenbeet angelegt, das zwar kaum größer war als sein Sportwagen, dafür aber umso üppiger blühte. In allen Größen, Formen, Farben und Schattierungen prangten ihm Blüten entgegen und bildeten einen wundervollen Kontrast zu dem Einerlei der Felder und Wiesen rund ums Hotel. Er lachte leise. Vielleicht war es genau das, was Sara bewirken wollte?
Als er die Klingel suchte, fiel sein Blick auf ein pinkfarbenes Schild mit dem handschriftlichen Hinweis: „Direktverkauf von Orchideen frisch aus dem Gewächshaus. Cottage Orchids bitte rechts um die Ecke.“
Gestern Nacht hatte hier kein Schild gestanden.
Beim Frühstück hatte Caspar ihm von Saras Orchideen erzählt, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass sie direkt hier in Hampshire gezüchtet wurden. Orchideen, dachte er immer, würden aus tropischen Ländern importiert. Er war davon ausgegangen, dass Sara wohl einen Großhandel betrieb.
Der Anweisung folgend gelangte er zur Pforte eines der wundervollen, gotisch anmutenden Gewächshäuser. Ein kleines Kabuff am Seiteneingang trug die Aufschrift „Cottage Orchids, Kingsmede Manor“. Diese Tür war verschlossen, doch der Haupteingang zum Gewächshaus schien offen. Er nahm eine Bewegung im Innern wahr, klopfte vorsichtig an eine Glasscheibe und trat ein.
Links und rechts standen überall Blumentöpfe auf Holzregalen, streng geordnet nach Größe und Farbe. Auf der einen Seite die blasseren Töne Weiß, Elfenbein, Gelb und Zartgold, alle mit denselben Blatt- und Blütenformen.
Weiter hinten waren die farbenfroheren Orchideen angeordnet: Pink, Orange und tiefdunkles Apricot.
Hier war eine Expertin am Werk, das merkte er sofort. Was für ein genialer Schachzug aus unternehmerischer Sicht, sich in dem Bereich eine Nische zu schaffen. Hier hatte eine ihre Hausaufgaben gemacht, er war beeindruckt.
Er sah sich weiter um. Jeder Zentimeter wurde optimal genutzt, überall standen Pflänzlinge in jedem erdenklichen Wachstumsstadium, Orchideen so weit das Auge reichte.
Von irgendwoher kam ein Lied. Eine wunderschöne Stimme sang mit bei einem Popsong. Er folgte der Musik, und als er um die nächste Ecke bog, hielt er inne und lächelte.
Sara stand mit dem Rücken zu ihm und wippte im Takt der Musik, während sie mit einem Schwamm Orchideenblätter abwischte.
Ein solch riesiges Exemplar hatte er noch nie gesehen. Jedes einzelne Blatt wurde zärtlich bedacht, ihre Hände schienen die Pflanze zu liebkosen. Leo spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte.
Zu ihren Füßen lag eine zimtfarbene Katze und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Als Leo näher trat, öffnete sie träge die Augen, gähnte, streckte sich und döste dann weiter.
Aus dem Radio erklang laute Musik, Sara schien ihn nicht gehört zu haben.
Er zögerte den Moment, sie in ihrer Selbstvergessenheit bei der Arbeit zu stören, noch etwas hinaus. Ihre Unterhaltung würde bestimmt nicht besonders harmonisch verlaufen.
Sie trug ein gelbes T-Shirt, auf dessen Rückseite der Name eines Kompostherstellers stand, grüne Caprihosen und Leinenturnschuhe. Überraschenderweise fand er sie in der lässigen Aufmachung noch hübscher als gestern. Diese bezaubernd natürliche Seite von ihr erschien ihm wie eine Offenbarung.
Er verhielt sich still und beobachtete, wie sie die Pflanze vorsichtig auf einem Regal an der Seite abstellte und dann ein paar leere Plastiktöpfe in die Spüle warf und wässerte. Sie war total konzentriert, sogar bei den einfachsten Handgriffen.
Um die Augen vor dem hellen Sonnenlicht im Gewächshaus zu schützen, trug sie eine orangefarbene Baseballkappe. Dennoch hatte er ihre reizenden Sommersprossen längst entdeckt.
Die mondäne Lady von gestern hatte sich über Nacht in eine lässige, sportliche Frau in Arbeitsklamotten verwandelt, die sogar an einem Sonntagvormittag mit Lust und Freude an Pflanzen und Töpfen herumschrubbte. Auch ohne Make-up,
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