Geständnis
er versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. „Das ist ganz
schön hart.“
„ Wenn Sie nur so zum Rücktritt zu bewegen sind ...“
„ Ich könnte mich beschweren.“
Richter Henry lachte. „Ich bin einundachtzig und stehe kurz
vor dem Ruhestand. Mir ist das so was von egal ...“
Koffee erhob sich langsam und ging zum Fenster. Er sprach mit
dem Rücken zum Richter. „Ehrlich gesagt, mir auch. Ich will nur
noch weg, abtauchen, weglaufen. Ich bin erst sechsundfünfzig, das
ist jung genug, um noch einmal neu anzufangen.“ Eine lange Pause
entstand, während Koffee mit dem Finger über eine Glasscheibe fuhr.
„Ich kann es einfach nicht glauben, Richter. Wie konnte das
passieren?“
„ Allgemeine Schlamperei. Schlechte Polizeiarbeit. Wenn es keine
Beweise gibt, lässt sich ein Verbrechen am einfachsten aufklären,
wenn man ein Geständnis bekommt.“
Koffee drehte sich um und ging ein paar Schritte, bis er
direkt vor dem Schreibtisch stand. Seine Augen waren feucht, seine
Hände zitterten. „Ich will Ihnen nichts vormachen. Ich fühle mich
hundeelend.“
„ Kann ich verstehen. Würde mir an Ihrer Stelle nicht anders
gehen.“
Koffee starrte lange auf seine Füße. „Wenn nötig, trete ich
zurück. Das bedeutet wohl vorgezogene Wahlen.“
„ Irgendwann schon, aber ich hätte da einen Vorschlag. Übergeben
Sie Ihr Amt Grimshaw, das ist Ihr fähigster Mann. Berufen Sie die
Anklagejury ein, und erheben Sie Anklage gegen Boyette. Je
schneller, desto besser. Das wäre ein Akt von großer Symbolkraft:
Wir als Vertreter des Rechtssystems geben unseren Fehler zu und
bemühen uns nun, ihn wiedergutzumachen, indem wir den wahren Mörder
verfolgen. Unser Eingeständnis wird die Gefühle in Slone
beruhigen.“
Koffee nickte und schüttelte dem Richter die Hand.
In Reiths Büro in St. Mark gingen den ganzen Tag über
zahlreiche Anrufe ein. Charlotte Junger fing sie alle ab und
erklärte, der Reverend stehe für Kommentare nicht zur Verfügung.
Spät am Nachmittag traf Keith schließlich ein. Er war den ganzen
Tag über im Krankenhaus in Deckung gegangen, wo er weit weg von
Telefonen und neugierigen Reportern Krankenbesuche gemacht
hatte.
Auf seinen Wunsch hin hatte Ms. Junger eine Anruferliste
geführt, die Keith in seinem Büro hinter abgeschlossener Tür und
bei ausgestecktem Telefon studierte. Die Reporter waren von überall
her, von San Diego bis Boston, von Miami bis Pordand. Sechs der
neununddreißig waren von europäischen Zeitungen, elf aus Texas. Ein
Journalist hatte anscheinend gesagt, er sei aus Chile, aber Ms.
Junger war sich wegen des Akzents nicht sicher. Drei
Gemeindemitglieder hatten angerufen, um sich zu beschweren. Es
gefiel ihnen gar nicht, dass ihr Pastor beschuldigt wurde, gegen
das Gesetz verstoßen zu haben, und das auch noch zuzugeben schien.
Zwei Gemeindemitglieder wollten ihrer Bewunderung und Unterstützung
Ausdruck verleihen. Dabei war die Geschichte noch gar nicht in der
Morgenzeitung von Topeka erschienen. Das würde am nächsten Tag
passieren, und Keith rechnete damit, das bewusste Foto überall in
seiner Heimatstadt zu sehen.
Luke, sein Sechsjähriger, hatte ein Fußballspiel bei
Flutlicht, und da Dienstag war, aß die Familie in ihrer
Lieblingspizzeria. Um halb zehn lagen die Jungen im Bett, Keith und
Dana um zehn. Sie überlegten, ob sie den Klingelton ausgeschaltet
lassen sollten, beschlossen aber, es so zu versuchen und das Beste
zu hoffen. Wenn auch nur ein einziger Reporter anrief, wollten sie
die Telefone stumm schalten. Um 23.12 Uhr klingelte das
Telefon.
Keith, der noch wach war, nahm ab. „Hallo?“
„ Reverend, Reverend, wie geht's uns denn?“ Travis Boyette. Für
den Fall dieses unwahrscheinlichen Ereignisses hatte Keith einen
kleinen Rekorder an sein Telefon angeschlossen. Er drückte die
Aufnahmetaste und sagte „Hallo, Travis“. Dana wachte auf. Sie
sprang aus dem Bett, schaltete das Licht ein, griff nach ihrem
Handy und gab die Nummer von Detective Lang ein, einem Mann, dem
sie zweimal begegnet waren.
„ Was treiben Sie so?“, fragte Keith, als wären sie alte
Freunde. Lang hatte ihm geraten, Boyette so lange wie möglich in
der Leitung zu halten.
„ Immer unterwegs, es hält mich nirgends lange.“ Boyettes Zunge
war schwer, die Worte kamen nur langsam.
„ Immer noch in Missouri?“
„ Nein, aus Missouri war ich schneller weg als Sie. Ich bin mal
hier, mal da.“
„ Sie haben Ihren Stock vergessen, Travis, auf dem Bett. Warum
das
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