Geständnisse eines graumelierten Herren
Schloß atmosphärisch? Gestern hatten sie Canasta gespielt nach dem Essen. Lipi und Tini waren auch wacker auf dem Laufenden und auf eine unangestrengte Weise vergnügt, ohne intellektuellen Ehrgeiz, ohne hämische Untertöne. Das war ja das angenehme beim Adel und erinnerte ihn ein wenig an Oper: Man weiß ungefähr, was kommt, alle kennen die Spielregeln und richten sich danach. Ganz ähnlich hier, auf andere Art. Locker, ohne die Häme des Konkurrenzkampfs und in sich geschlossen. Nicht als Folge einer Erziehung, sondern einer Entwicklung. Und Unabhängigkeit.
Aber was war da mit Renate und Daniela? Warum klammerten sie den Bühlhof aus? Normalerweise hätten sie sich längst nach den beiden erkundigen müssen.
„Ich war zehn Jahre in Schottland“, begann er, „und hüte zur Zeit den Bühlhof. Die beiden Besitzerinnen sind auf Weltreise. Aber das wissen Sie ja sicher. Hier spricht sich doch alles rum. Oder?“
Die sechs wechselten Blicke.
„Demnach wissen Sie Bescheid“, sagte die Frau des Machers. Lukas’ Kopfschütteln entspannte die Atmosphäre.
„Hätte uns auch sehr gewundert“, meinte die Goldschmiedin, „obwohl... zunächst waren wir uns gar nicht so sicher.“ Abwechselnd, mitunter auch zusammen, trugen die drei Frauen eine Lobeshymne auf Daniela vor, daß ihr am anderen Ende der Welt die Ohren klingen mußten. Daniela hatte ihnen entscheidend geholfen, ihnen über die Astrologie Mut zugesprochen, wenn sie aufgeben wollten, was sich mehrmals ereignete, sie hatten ja nichts und mußten umlernen. Vermutlich war Daniela auch finanziell eingesprungen. Sie nannten sie ihre Gura, mit dem Hindiwort nach lateinischer Grammatik. Ohne ihre Gura wären sie nicht mehr hier. Außer kostenlosen Horoskopen besaßen sie nichts, woran sie sich hätten klammern können; kleinere Überbrückungshilfen aus der Verwandtschaft waren längst aufgebraucht; sie mußten einfach glauben. Das habe ihnen unheimlich Kraft gegeben.
Der Macher lachte. „Zuerst dachte ich, wir spinnen alle, und hab mir bei jeder Kleinigkeit den Kopf zerbrochen: Wie gehe ich vor? Jetzt pack ich’s instinktiv an. Intellektuell ist nicht alles optimal, aber es klappt. Und darum geht’s ja. Wenn man das mal begriffen hat, kann man plötzlich wieder glauben. „ ,
„Wenn eine so prominente Frau von Politik auf Astrologie umsteigt, muß was dran sein.“ Der Ausdruck von Respekt nahm sich bei dem Uhrmacher fremdartig, aber gerade dadurch überzeugend aus.
Lukas lächelte höflich zu dem männlichen Rückversicherungsgeschwätz. Ihm war klar, hier hatten die Frauen durchgehalten ,, hatten ihre seit Generationen ausgeruhte Tatkraft und Risikobereitschaft ausgespielt.
Nun erzählen Menschen, die sich astrologisch beraten lassen, das im allgemeinen nicht jedem, und auf Danielas Diskretion war absolut Verlaß. Trotzdem gelang es den sechs, ohne Denkpause, ebensoviele Klienten zu benennen. Daß es sich dabei ausschließlich um Bauernhofbesitzer aus der Stadt handelte, sprach weder gegen die Astrologie, noch gegen Daniela, wohl aber für den Kredit, den Glaube auf dem Land noch hat. Das wiederum schloß nicht aus, daß die Bauern den ländlichen Nachrichtendienst unterliefen und erst nach Einbruch der Dunkelheit zur Beratung kamen.
Lukas erfuhr, wer auf welchem Hof saß und wie es deswegen dort aussah. Das Schmuckstück schlechthin sei der Egidihof, ein wahres Heimatmuseum, von einem Rheinländer liebevoll zusammengetragen. Überhaupt sei die bäuerliche Tradition Sache der Städter. Die Landbevölkerung trenne sich vom Althergebrachten ohne Wimpernzucken. Manches schöne Stück droben auf der Tenne hätten sie aus dem Sperrmüll gezogen. Die Bauern würden sich durch die Medien informieren, Prospekte und buchdicke Versandhauskataloge lesen und meinen, sie versäumten etwas, wenn sie nicht jeden angeblichen Fortschritt mitmachten. Daher die Tote-Augen-Fenster ohne Sprossen in den Höfen, die Normhaustüren aus Kunststoff oder Aluminium, Glassteine in der Fassade, Plastik-Kassettendecke, auf Eiche und Renaissance gemustert in der Stube, die grauenhaften Ornamenttapeten und — fliesen, die Fabrikschränke und Kunststoffküchen.
„Unser Glück!“ meinte die Frau des Machers. „So kommen wir an die alten Sachen, verkaufen sie an Städter, die vom Fortschritt die Nase voll haben und aufs Land drängen, zu eigenem Salat, eigenen Tomaten und Hühnern. Für sie zählt nur, was alt ist. Sie bringen die bäuerliche Kultur zurück!“
„Nicht immer
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