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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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ländlichen Nachrichtendienst wohlversorgt, und entblößte freundlichkeitshalber ein Gebiß, dem auch rohes Fleisch keine Schwierigkeiten bereiten konnte. Der Name, den sie nannte, entging Lukas, er verstand nur die Adresse, den Michlhof, auf halbem Weg zum Schloß gelegen. Nicht weit. Für zwei Personen mit Zweirädern und einem nervösen Gaul jedoch ein Problem. Aus dem Fahrradsattel hatte sich Cora führen lassen, neben dem knatternden Mofa verweigerte sie die Gefolgschaft. So blieb es bei Lukas’ Methode. Die Michlhoflady knatterte voraus, er folgte mit dem trabenden Haflinger, gespannt auf eine neue Variante des Landlebens.
    Obgleich er wußte, daß der Luggi im Zu-Haus gerade das Luftrohr für den Kamin unter Putz verlegte, hatte er keine Eile zurückzukommen. Frau Schmidhuber stand in dem Hof, den Martina und Galan immer noch nicht verlassen hatten. Fern von Sender und Tochter, verbrachte sie Urlaubstage als glückliche Landfrau, Vorflitterwochen mit nächtlichen Juchzern, permanenter Musikberieselung und Unmengen von schmutzigem Geschirr. Den Aufeinanderprall der beiden Weibspersonen mitzuerleben, interessierte nicht einmal den Männchenmaler in Lukas. Einkauf im Dorf war ihm da ökonomischer erschienen.
    Der Michlhof, geduckt in einen flachen Hang verkrallt, lag abseits vom Weg und besaß noch die quadratischen Fenster aus dem letzten Jahrhundert, neue alte, wie sich herausstellen sollte, der Wärmedämmung wegen. Ein kleiner Hof.
    Die Ankommenden wurden von drei Hunden verbellt, auf dem Laubengeländer saß eine Katze, in der Koppel, wohin er das Pferd brachte, stand ein zweiter Haflinger, im Nachbargehege meckerte eine Ziege, und an der Tür erschien eine weitere Bewohnerin in langen Reithosen, kaum jünger als die erste, indes nur halb so umfangreich.
    Die beiden Yoga-Tanten fielen Lukas ein, bei denen er einmal gewohnt hatte, in seiner möblierten Zeit. Doch schien ihm die Beziehung, dem Umgangston nach, von anderer Art zu sein als jene damals, oder hatte sich mit den Jahren gewandelt. Auch die Schlanke war Landfrau mit städtischer Vergangenheit. Balletteusenfrisur und viele Ringe an den adrigen Händen, gaben ihr draußen auf der Koppel einen Stich ins Mondäne, der sich drinnen in der Stube zu gefaßtem Bessere-Tage-gesehen-haben verengte. Wirtschaftliche Not herrschte wohl nicht. Das verriet schon die stattliche Menagerie, zu der noch Kaninchen, zwei Schafe und ein Papagei in riesigem Messingkäfig gehörten.
    Lukas wurde, mit einem Sherry versehen, in einen alten Ledersessel gedrängt, mit Blick auf eine barocke Schreibkommode ohne Glanz, neben dem Kachelofen, sowie allerlei im Raum verteiltes, stark angelaufenes Herkunftssilber. Glanzlos war auch das Glas, das in seiner Hand klebte. Auf dem Eichentisch in der Ecke lag dicker Staub, in allen Ecken bündelweise Hundehaare, vor allem aber die Luft hatte ihn schon an der Tür zögern lassen. Es roch nicht nur nach Pferd, wie es bei Reitern nach Pferd riecht, es roch schärfer, ätzend, fischig, nach aufgekochtem Abfallfleisch, daß er die angebotene Zigarette nahm und die Mitraucherschaft seiner Gastgeberin dankbar vermerkte.
    Lukas nippte an der klarsten Stelle des Glasrandes, machte Smalltalk und erfuhr Schicksal. Die beiden waren Offizierswitwen aus Pommern.
    „Wir sind Zugereiste“, sagte die Dicke, „aber nie angekommen.“
    „Seit mehr als dreißig Jahren erklärt man uns, daß wir eigentlich nicht hergehören“, sagte die Dünne. „Dabei leben wir völlig zurückgezogen. Sie bleiben doch zum Essen...“
    Unter ihrem Sessel kam ein großer, dunkler Käfer hervor, rannte über den speckigen Schafwollteppich einem kleineren in die Quere, fiel ihn an und schleppte sein Opfer in die nächste Ecke, um es hinter einem Bollwerk von Staubflocken und Hundehaaren in Ruhe zu verspeisen.
    Selbstversorger! Recht hast du! Lukas klopfte ihm mental auf die Schulter. Wer weiß, wie die Küche aussieht? Das Bad! Haben die überhaupt eins?
    Trotz ernster Kniggebedenken unterlag sein Mitleid. Er schob Frau Schmidhuber vor, die Putzfrau, die pünktlich zu entlohnen sei, hängte aber noch ein paar humane Minuten dran, ohne das geweckte Mitteilungsbedürfnis der beiden zu unterbrechen. So erfuhr er Einzelheiten über unausstehliche Nachbarn, regelmäßige Kirchgänger, die keinen Finger zur Hilfe gerührt hätten, als die Dickere einmal plötzlich ins Krankenhaus mußte, und vergrößerte vor Betroffenheit die klare Stelle am Glasrand mit seiner

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