Geständnisse eines graumelierten Herren
Unterlippe.
Ist das Danielas und Renates Zukunft? Wenn das Autofahren aufhört, Beschwerden sich einstellen, der Pacherbauer nicht mehr lebt? Oder wenn eine der beiden stirbt? Martina? die folgt dem nächsten, der sie nimmt. Ohne jemand, der immer da ist, geht es nicht...
Ein Käfer hatte die Armlehne erklommen und schickte sich an, in Lukas’ Ärmel zu krabbeln. Rechtzeitig hob der Gast den Arm zu bedauernder Geste. Seine Pflichten duldeten nun keinen Aufschub mehr.
Noch hieß es auf dem Bühlhof nur: Dicke Luft! Der Ton allerdings, mit dem Luggi die beiden Worte, von der Mischmaschine melodramatisch untermalt, durch das Gatter seiner Erdnußzähne preßte, entsprach einer Sturmwarnung.
Frau Schmidhuber empfing den Hofhüter an der Tür. Ihr Mitteilungsbedürfnis gestattete keine Unterbrechung.
„Also, das sag ich Ihnen, Herr Dornberg, wenn das hier so weitergeht, dann Danke für Obst und Südfrüchte! Ich sorg’ für Ordnung und Sie passen auf. So haben’s die beiden Damen ang’schafft. Aber eine Absteige sind wir nicht! Ich mach’ dene doch net ihre verrammelten Betten. Ja, was glauben’s wie’s da ausschaut! Wie nach der Schlacht von Ampfing. Und das dreckige G’schirr, das viele. Soll’s der Saubär doch sauber machen. Aber nein, das gnädige Fräulein wird auch noch unverschämt. Wenn Sie das zulassen, ist das Ihre Sach. Für meine Person ist das unter meiner Würde.“
Beschwichtigungsversuche oder das Argument, er könne der Fernsehbäuerin den Hof nicht verbieten, sie habe nämlich einen Schlüssel, halfen nichts. Scheitern mußte auch der Versuch, mit Geld auszugleichen — er kostete Lukas seine Würde. Frau Schmidhuber hatte es offenbar so kommen sehen und deshalb weder für ihn gekocht, noch den Luggi versorgt. Von den Würdezerstörern war glücklicherweise nichts zu sehen. Lukas begab sich, ohne ein weiteres Wort, in die Speisekammer, aß dort im Stehen und richtete einen Brotzeitteller für den Luggi her. Prompt erschien die im schönsten Zorn Alleingelassene. „Da wär’ noch Post für Sie!“ Ihr vorsichtiger Konjunktiv stellte alle Würden wieder her. Aus Afrika kam die Karte. Diesmal mit Renates Handschrift, und einer Aura von Reisemüdigkeit. Abklingende Magenverstimmung Danielas, aufblühender Schnupfen bei ihr und wachsendes Heimweh bei beiden, lösten beim Hofhüter unerwartete Tatkraft, ja Eile aus. Als gelte es, ein kleines Retiro für das schon nächste Woche hereinbrechende Alter zu schaffen, brachte Lukas Ziegelsteine, die hinter dem Stall gestapelt lagen, schubkarrenweise zum Zu-Haus, warf sie dem Luggi einzeln hinauf, trug Mörtel über die Leiter hinterher und bemerkte erst nach zwei Tagen Handlangerdienst, als die Wände vom Bad, sowie den beiden Zimmern standen, wie geschunden er war. Ruhe gab es freilich nicht. Luggi hatte alle Rohre ausgemessen, im Stall zugeschnitten, die Gewinde eingedreht und verlegt, im Erdgeschoß bereits unter Putz. Also schraubten sie die Wasserhähne an, setzten die Klos auf die Exportröhre und beförderten mittels Flaschenzug Badeofen, Boiler, Kessel und Wanne nach oben.
Ein leerer Bierkasten an der Hauswand gab Kunde von der aufgewendeten Kraft. Lukas glaubte, ihn verantworten zu können. Er hatte dem standhaften Luggi die meisten Flaschen weggetrunken. Der Zeichenhand schadete die Arbeit, wie sie dem Zusammenleben im Hof nützte. Müdigkeit macht Miteinander möglich. Können doch Verliebte im Wohnbereich, trotz sanitärer Trennung, ungemein unappetitlich wirken, halb angezogen beim Frühstück zur Mittagszeit, gurrend, rauchend und immer albern handgreiflich. Im Umgang miteinander erreichten Hofhüter und Paar nahezu perfekte Unverbindlichkeit. Man wünschte sich Guten Tag und Gute Nacht, der Galan nahm sich, auf einen Wink von Mann zu Mann, des Geschirrs an. Martina fragte nach Bauherrenart, wie die Arbeit vorangehe, ohne deren Fortschreiten mit ihrer Anwesenheit zu stören. Die Mahlzeiten wurden zeitlich versetzt eingenommen, lediglich die Männer verfolgten die Abendnachrichten gemeinsam auf dem Kanapee, dann zog sich Lukas zum Zeichnen oder Lesen in Danielas Studio zurück, Platz war ja ausreichend vorhanden. Über den Streit mit Frau Schmidhuber fiel von ihm nur eine Bemerkung. „Solltet ihr nächste Woche noch da sein, wenn sie wieder kommt, wären ein aufgeräumtes Zimmer und ein Ausflug sicher hilfreich.“
Sein Interesse für die elektromagnetischen Schwingungen zwischen den Menschen machten ihn zunehmend hellfühlig.
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