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Geständnisse eines graumelierten Herren

Geständnisse eines graumelierten Herren

Titel: Geständnisse eines graumelierten Herren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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tut das denn, ohne Interesse? Ich überlege mir alles, was du gesagt hast. Vielleicht hast du recht. Aber faul bist du auch.“

    Wie ein wolliger Tausendfüßler schob und zog sich die Hochzeitsgesellschaft den Berg zu dem kleinen Kirchlein hinauf, rührend-verlogenes Votivbild gläubiger Menschen in unzerstörter Natur. Über die Unvereinbarkeiten der zu vereinenden Familien schwang der Hochzeitslader das Narrenzepter ewigen Glücks, die Stimmung war unbeschwert. Bis zum zweiten Blick. Neben Tracht und halbstädtischem Trachtenanzug gewahrte Lukas modische Auflehnung. Als gelte es, den Abstand zwischen den Generationen gerade bei diesem Anlaß zu betonen, hatten sich einige Dirndln mit Schminke, Stöckelschuhen, geschlitzten Röcken, disharmonischen Farbkombinationen und anderen vulgären Akzenten jenen Stich gegeben, der in der Nähe von Großstadtbahnhöfen, nicht aber auf einer Bauernhochzeit milieugerecht erscheint. Ungleich argloser verweigerten auch einige Burschen Anklänge an Tracht, gaben sich betont lässig von der Stange.
    Rosa, die weiße Braut, älteste Tochter vom Pacherhof hielt mit geflochtenem Haarkranz und dezent lackierten Fingernägeln gewissermaßen die Mitte, ebenso der Bräutigam im Trachtenanzug und gefädeltem Leinenhemd, dazu unpassend helle, spitze Schuhe. Pacherbauer und Pacherbäuerin trugen Tracht ohne jede Konzession, selbstverständlich, nicht als Abwehr. Das im Einzelhandel tätige Bräutigamselternpaar gab sich ländlich im Donicke-Stil, sie vor allem, mit zu viel Schmuck zum Lederkostüm. Gesellschaftsaufsteiger. Durch ähnliche Besitzeleganz fiel in der Mitte des Zuges nur noch Frau Schmidhuber aus dem Rahmen, amtierende und armierte Witwe, die es nicht nötig hat, sich mit Saubärn einzulassen. Daneben blaß und lieb, die Persönlichkeit noch eingepuppt, ihre Angela. Vom Riedhof war Tom, der Schreiner erschienen. In Trachtenjoppe mit grauer Hose, nahm er stellvertretend für seine Freunde an der Trauung teil. Er ging in die Hochzeit, wie das im Dialekt heißt, wenn einer von Anfang bis Ende dabei ist. Wer erst zum Essen, zum Kaffee oder abends dazukommt, geht auf die Hochzeit. Wie kräftige Leibwächter, beschlossen zwei Mannsbilder den Zug, der friesenblonde Maxi, in reich bestickter Bundhose ein einheimisches Prachtexemplar, an seiner Seite, im schlichten Trachtenanzug, groß und hager, den kantigen Kopf gesenkt, als trage er eine Schuld mit sich herum, der Luggi.
    Der Männchenmaler am Wegrand nickte ihnen zu. Er dachte an seine eigene Hochzeit, damals, auch auf dem Dorf, in Suffolk. Nur acht Personen waren sie gewesen in der Kirche mit dem massigen Wehrturm. Das Brautpaar in mausgrauem Flanell, wie Zwillinge. Doreen konnte in ihren hochhackigen Schuhen kaum gehen, ihr wackeliger Stand klang beim Ja-Wort durch, Omen gleichsam für ihre Gesundheit, als ahnte sie schon, wie wenig Zeit dieser stillen, zärtlichen Verbindung gegeben war.
    Doreen vom Norden, ich vom Süden, haben wir uns aneinander festgehalten, eine Insel auf einer Insel. Ich bin Insulaner geblieben, darf wegen guter Führung den Bühlhof vertreten, dann zurück in die Stadt auf meine Betoninsel.
    Die Kirchenbänke standen auf niederen Podesten, eine halbe Stufe hoch über den Steinfliesen, breite ausgetretene Bohlen zu den Astansätzen leicht ansteigend, wie im Zu-Haus. Bis dahin kam er nicht, wollte sich nicht auf Stammplätze anderer schieben lassen und fand sich hinten im Gedränge unversehens zwischen Luggi und der energisch Kurs auf ihn nehmenden Frau Schmidhuber. Mit einer Rochade, als wolle er den besseren Platz seiner Nachbarin einräumen, brachte er die Witwe neben Luggi, samt ihrer Angela, die sie wie ein Stehpult auf Rollen vor sich herschob.
    „Entschuldigen’s scho, gell!“ flüstert der Luggi über sie hinweg.
    Ein Nicken genügte, die Feier hatte begonnen. Der Männchenmaler nahm wahr, deutlicher, unbarmherziger, liebevoller, vorn den Alois und die Pacherbäurin, gefaßt-aufrecht, im Hals-Schulterbereich vor allem, jene klassische Elternpose zur Wende, da ein Teil des Familienglücks in die Selbständigkeit desertiert. Gegenüber die Gegeneltern, mehr geduckt, als hätten sie eine Eiskunstläuferin der Bauerntochter vorgezogen.
    Hochwürden wandte sich, nach liturgischer Pflicht, der Paar-Kür zu. Der stattliche Mann mit den konischen Fingern des Zölibasochisten begann bei der vielberedeten Kluft zwischen den Generationen. Die jungen Menschen heute strebten früher nach Sicherheit und

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