Geständnisse eines graumelierten Herren

sie angeblich so gut essen müssen? Zum vierten Brötchen kam die Suppe. Georgia schmeckte die Halbkaltschale. Rührend und verwöhnt in ihrem Anspruch. Am Nebentisch mittelständische Stemmübungen ins Marken-Highlife. Flambierverdächtig! Senkrechte Gabelhaltung, Halbtagsdamen im Reinseidenen.
    Als das Essen doch noch kam, mußte er wieder an Daniela denken. Unter einer Ananasscheibe mit Kirsche im ausgestanzten Mittelloch lag, wie fürs Werbefoto auf den Teller drapiert, das Kalbssteak. Und schmeckte nach Schwein. Die Rösti waren vorgefertigt, wie sich nicht nur an der Verpackungsform feststellen ließ. Darüber klebte eine eingedickte Masse undefinierbarer Herkunft, somit als Simultansoße für alle Fleischarten trefflich geeignet. Der fotoreif garnierte Salat schmeckte nach nichts. Auch hätte er kühler sein können und das andere wärmer. Viel Silbergeklapper beim Servieren. Aber Nobelküche...?
    Der Vergleichsmöglichkeit wegen kostete er von Georgias Teller.
    Jetzt Landluft! Danielaküche. Was haben ihre Spaghetti Biß neben den verkochten Schläuchen zum Preis von einer Flasche Drambuie! Wie raffiniert schmeckt ihr Salat, gegen dieses Einheitsgeträufel aus der Fabrikflasche! Und der Blattspinat, der wie ein nasser Plattfuß auf den Teller klatscht, neben ihrem knackigen, luftigen! Diese Lokale sind für Leute mit eingeschränkter Wahrnehmung...
    Georgia genoß die Komfortshow und er freute sich für sie. Wohlbehagen an seiner Seite in der Öffentlichkeit kam ihm gelegen. Bei seinem Streben nach erotischer Häuslichkeit sah er in zeitlich gut getrennten Höhepunkten eine gewisse Ordnung. Auch einen Schutz vor Komplikationen. Er lächelte über sich und ihre Augen leuchteten. Seinen Anruf, sie zu sehen, seine Bereitschaft, sie zum Dinner zu führen, faßte sie unter dem Begriff „zauberhafter Abend“ zusammen. Da sie ihre Stimmung nicht vordergründig vom Teller bezog, entging ihr auch, daß der kleiner war als üblich, wie von einem Kinderservice, und entsprechend die Portionen. Ein Nepptrick mit Zukunft, wie sich der Rechnung entnehmen ließ.
    Als man dem Governor und seiner Begleiterin die Tür öffnete, stürmte ein Paar drauf zu, daß sie hätten zur Seite treten müssen. Der Governor blieb einfach unter dem Türstock stehen und sagte freundlich: „Ihre Arroganz in Ehren, aber meine auch.“
    Das verdutzte Paar trat beiseite, er nahm seine Lady am Arm und geleitete sie hinaus.
    Der „Zauberhafte Abend“ war indes noch nicht ausgestanden. Die kleinen Portionen hinterließen keine Gefühle der Fülle, die andere ausschlossen, sie wurde zärtlich, um sie zu ändern. „Nicht zu mir! Zu dir. Oder auch zu mir. Detlef ist bei Renate. Unser Abend muß doch ausklingen.“
    Er hätte sagen können, sie sei sentimental und er sei müde. Doch ein müder Mann wirkt ebenso spießig, wie ein ordentlicher, der kein Gefühl für zauberhafte Abende hat.
    Georgia wünschte sich einen Mann, der Kurs hält, sich aber aufregend Zeit läßt. Da sie diesen Mann in ihm sah, resignierte er vor seiner Eitelkeit und das nicht ungern. Er spielte den Bettzyniker, der, weil gegen seinen Willen wollen gemacht, recht grob wird und dabei, von schnaubenden Anfeuerungen überrascht, dahinterkommt, daß ihr eine gewisse Härte auch in den knochenführenden Extremitäten, für einen zauberhaften Abend offenbar unerläßlich ist.
    Kein Wunder, daß es war, wie noch nie. Ausgerechnet durch Gockelei seine Menschenkenntnis zu vertiefen, hatte er gewiß nicht erwartet. Nach Dusche und Drambuie brachte er sie in ihrem Wagen zu ihrer Wohnung, winkte unterwegs ein Taxi, ließ es folgen, küßte Wange an der Haustür, stieg um und fuhr zurück. Obwohl nicht bei Laune, begann er ein Gespräch mit dem Fahrer. Die Nähe und das enge Gehäuse machten es ihm unmöglich, stumm neben dem Mitmenschen zu sitzen, ihn gewissermaßen zum Transportsklaven herunterzustufen. Der junge Mann betrieb Taxifahrten nur als Job, wie er sagte, das blasse Gesicht von keinem Bart markant umrandet. Ansonsten studiere er Politologie, mit dem Ziel, politischer Journalist zu werden. Lukas gab ihm reichlich Trinkgeld. Daß ihm damit vielleicht gelungen war, was er hatte vermeiden wollen — eine Herunterstufung — , merkte er erst in der Wohnung. Seine Unzufriedenheit mit sich selbst und dem ganzen zauberhaften Abend streute bereits.
    Daß ich immer noch auf meine Vergangenheit hereinfalle und diesen Blödsinn mitmache...?
    Von seiner Phantasie früh geweckt,