Geständnisse eines graumelierten Herren
tatendurstig aus schlechtem Ge-: wissen, saß er in seinem Polsterbäckchensessel, das Zeichenbrett auf den Knien, die Gedanken im Zaum. Ohne den Zickzackkurs des Bleistifts zu unterbrechen, nahm er auf Klingeln den Hörer ab. Danielas Stimme tat ihm wohl. Sie sei in der Stadt, habe einiges zu besorgen und würde ihn anschließend gern sehen.
Um Mittag kam sie, sah sich um in seinem Eigentumsbeton, nickte gelegentlich und gab im Bad ersten Kommentar: „Witwer mit Bidet...“
In der Küche packte sie eine mitgebrachte Tüte aus, fand sich sofort zurecht und wurde deutlicher. Mit dem Sprossengitter sei die Wohnung für einen Neubau bemerkenswert gemütlich. Bis auf die reichlich konventionellen Vorhänge, zum Glück ohne Borte. Praktisch seien sie, solche Wohnungen, man könne jederzeit abschließen und müsse sich um nichts mehr kümmern.
Von dieser offenbar wichtigsten Eigenschaft kam sie auf ihren ehemaligen Parteifreund zu sprechen, den sie wegen der Straße aufgesucht hatte. Abgeordneter Schnuckchen sehe den Ausbau angesichts schlechter Konjunktur, hoher Staatsverschuldung und erstarkendem Umweltbewußtsein in absehbarer Zeit nicht, und dann stünden wieder die Wahlen mit ihren bürgerfreundlichen Versprechungen bevor, Gelegenheit, das Vorhaben endgültig abzuschmettern.
Von dieser günstigen Aussicht sprang Daniela zu einem dritten Thema. Ob Lukas unter diesen Umständen den Ausbau des Zu-Hauses nicht zu Ende führen wolle? Alois habe für den Kachelofen einen alten Hafner ausfindig gemacht, dem Lukas sein Konzept erklären und zur Hand gehen müsse. Männchenmalen könne er schließlich überall. Nützliche Handgriffe begleiteten ihre Worte und alsbald verbreitete sich ein Duft, wie er um diese Tageszeit nicht verheißungsvoller erschnuppert werden kann. Zur Nasenweide gesellte sich die Augenweide, die Leichtigkeit und Schnelligkeit, mit der sie arbeitete. Hier wurde nichts eingedickt, hier bedurfte es keiner Überbrückungsbrötchen. Daniela kochte sinnlich-souverän, kochte makellos in Harmonie der Bewegung wie der Zutaten. Was fehlen könnte, hatte sie dabei, was sonst noch seinen Appetit anregen könnte, ließ sie ihn wissen: Renate würde sich sehr freuen, wenn er käme. Sie wirke seit neuestem beschwingt und finde es unter so alten Freunden schandbar, sich nur gelegentlich zu besuchen, statt zusammen zu sein, nach all den Jahren. Man wolle ihn nicht drängen, nur verwöhnen würde man ihn gern. Dann gab’s Kalbsgeschnetzeltes vom Kalb, frische Rösti, große Portion auf großem Teller. Dazu Salat à la Daniela. Unnachahmlich. Zum erstenmal seit seiner Rückkehr saßen sie zu zweit am Tisch, ohne viele Worte. Er dachte zurück an die erschöpfte Daniela im Wahlkampf vor zehn Jahren. Nichts mehr davon. Eine bis zur Gänsehaut wohltuende Ruhe ging von ihr aus. Sie war wieder sie, alles an ihr hatte unverwechselbaren Stil.
In der Küche, wo sie Geschirr abstellten, nahm er sie mit dem Zugriff der Vertrautheit von hinten in die Arme und blieb einfach so stehen.
„Ich weiß, ich müßte abnehmen“, sagte sie nach langem, tiefem Atemzug. „Aber wozu? Ich fühle mich wohl.“
Lukas hielt sie fest. „Bleib wie du bist!“
Jetzt auf den Winter stehen noch mehr Schuhe im Flez des Bühlhofs. Wenn Alois kommt, zieht er seine Gummistiefel draußen vor der Tür aus und betritt den Hof strumpfsocket, wie er sagt. Landleute sind in Sachen Fußbekleidung kultivierter, sie trennen genauer. Die Asphaltgewohnheit, mit Straßenschuhen in Häuser oder Wohnungen zu latschen, sei, zumal bei den heutigen Teppichböden und dem Hygienekult, barbarische Faulheit, — befindet Lukas.
Landleben konzentriert überhaupt. Weil der Tag länger erscheint als in der Stadt — durch weniger Störströme, Fremdehrgeize und andere abträgliche Schwingungen — wird die Zeit bewußter wahrgenommen, man nutzt sie überlegter, tut, was man tut, gründlicher, sei es Nützliches oder gar nichts. Selbst vergleichsweise städtische Verrichtungen hinter einem Schreibtisch — wenn Renate nebenbei noch Bauernhöfe vermittelt, viele gibt’s ja nicht mehr, Daniela Horoskope ausrechnet und in Sprechstunden Kunden berät — gehen, wie beide versichern, flinker, müheloser vor sich als im Spannungsfeld von Beton, Strom und unerforschten Aufladungen aller Art. Diesmal merkt Lukas den Unterschied deutlich beim Zeichnen.
Er ist nicht allein zurückgekommen. Die Eckbank hat er wieder mitgebracht, den Tisch, seinen Polsterbäckchensessel, und
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