Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
Schminkutensilien und pudere Beat noch einmal. Irgendetwas Unverfängliches, Alltägliches sollte ich tun, damit Räto warten und so bei seinem Sohn sein muss.
So nehme ich die kleine Schminkmappe, öffne die schwere Kühlraumtür, die in der hinteren Aufbahrungsraumwand ist, und bleibe wie angewurzelt stehen: Räto kniet neben dem Sarg seines Sohnes, beide Hände auf der Kante des Sarges, den Kopf auf die Brust herabgesunken, und ich glaube, er weint leise.
Ich gehe zwei Schritte rückwärts, ziehe den Vorhang zu, schließe die schwere Tür und gehe durch den hinteren Gang und eine andere Aufbahrungszelle wieder in die Halle.
Es vergeht eine Viertelstunde, und ich will gerade nach Räto sehen, da kommt er auch schon langsamen Schrittes aus dem Seitentrakt. Ich stehe auf, will den Mann in mein Büro führen und ihm ein heißes Getränk anbieten, es war ziemlich kalt im Aufbahrungsraum.
Doch wie ich Räto entgegengehe, breitet er plötzlich seine Arme aus, ergreift mich, drückt mich an sich und weint mir in den Kragen.
»Danke«, ist alles, was er sagt, dann gewinnt die Contenance Oberhand, und er löst sich von mir, nimmt meine Hand, schüttelt sie mit festem Druck und sagt wieder: »Danke, vielen Dank!«
Eine Stunde lang sitzen wir dann beieinander, und Räto ist gelöst, so wie ich ihn zuvor noch nicht erlebt habe. Der wichtigste Satz, den er sagt, ist: »Ich habe doch nur noch ihn gehabt und jetzt muss ich auch ihn gehen lassen, ohne ihm alles sagen zu können.«
Ich rede mit ihm, und es gelingt mir, ihn dazu zu bringen, zu sagen: »Nun ist Daniela das Einzige, was mir geblieben ist. Ich fahre jetzt sofort zu ihr. Ich glaube, ich habe viel wiedergutzumachen.«
Dass er zu dieser Erkenntnis gekommen ist, darauf brauche ich mir nichts einzubilden. Der Knoten muss irgendwann im Verlaufe des vorherigen Tages geplatzt sein, die Schuhe waren ein Zeichen dafür. Ich habe ihm nur die goldene Brücke gebaut, und jetzt muss er über diese Brücke gehen. Die ersten Schritte hat er jedenfalls gemacht.
Da wir nicht weiterwussten, hat Sandy Beat in der Zwischenzeit einbalsamiert, Räto hatte dazu sein Einverständnis gegeben. Diese Maßnahme wurde dringend wichtiger, denn die Zeit schritt voran, und mit ihr setzen langsam auch Veränderungen am Verstorbenen ein, die dringend aufgehalten werden mussten.
Es wäre sonst auch kaum möglich gewesen, den Termin für die Trauerfeier mit dem Sarg noch länger hinauszuzögern.
Morgen, am Karfreitag, soll sie nun stattfinden. Ein ungewöhnlicher Termin, aber in der privaten Trauerhalle eines Bestatters geht auch das, und großartig kirchlich orientiert ist die Familie auch nicht.
Ganz früh heute Morgen hat Räto seine Schwiegertochter am psychiatrischen Institut abgeholt, und sie sind, so erzählte er mir später, schweigend nebeneinanderher zum Auto gelaufen. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, dass Räto und Daniela zusammengekommen sind, das bedurfte allerdings einiger beiderseitiger Überwindung.
Daniela ist nicht irre, sie war auch nicht weggesperrt, und man hatte ihr außer leichten Beruhigungsmitteln auch keine Medikamente verabreicht. Der Aufenthalt im Institut diente der Feststellung, inwieweit sie wieder gefestigt ist, um möglichst ausschließen zu können, dass sie wieder Hand an sich legt.
Gegen elf Uhr sitzen mir beide gegenüber, Daniela schön wie eh und je und Räto sehr gelöst. Wie anders Menschen aussehen, wenn sie lächeln.
Keineswegs macht Daniela einen gestörten Eindruck, sie entschuldigt sich bei uns für die Unannehmlichkeiten, für den Schrecken, den sie uns eingejagt hat, und begründet ihre Handlung so: »Ich wollte ihn einfach nicht alleine gehen lassen. Ihn einfach nur zu verabschieden, das wäre in diesem Moment für mich zu wenig gewesen, ich wollte ihn auf seiner letzten Reise begleiten.«
Vorsichtig erkundige ich mich: »Und dann wollen Sie ihn heute wieder besuchen?«
»Ja unbedingt! Sie brauchen keine Angst zu haben, ich werde nichts dergleichen wieder tun. Die Trauer war da noch so frisch, ich war nicht ganz bei Sinnen. Irgendwie erschien mir das als einziger Ausweg, ich fühlte mich so allein. Räto, verzeih mir, aber vor allem weil ich auch von deiner Seite keine Hilfe zu erwarten hatte, fühlte ich mich besonders allein.«
Räto hebt die Schultern und lässt sie wieder fallen, dann breitet er etwas theatralisch die Arme aus und sagt: »Wir haben ja schon darüber gesprochen, es war halt, wie es war, und jetzt ist es
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