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Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Titel: Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wilhelm
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anders. Lass uns das Gewesene vergessen.«
    Daniela nickt und erzählt mir, wie ihr Schwiegervater mit einer einzelnen Rose zu ihr gekommen ist. Das sei die Rose der Versöhnung, habe er gesagt, und dann habe er den Finger auf den Mund gelegt, um ihr zu bedeuten, dass sie nichts sagen soll, und hat dann gesagt: »Wir können alle die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir können unser ganzes Leben damit verbringen, dem jeweils anderen die Schuld zu geben. Vermutlich wirst du genau so viele und genau so gute Argumente haben wie ich, aber wäre es nicht klüger, wenn wir jetzt einfach nur noch nach vorne schauen?«
    »Und dann bin ich ihm um den Hals gefallen, so habe ich mich gefreut«, strahlt Daniela, und Räto hebt in gespieltem Vorwurf seinen Finger: »Und die Rose hast du abgeknickt.«
    Die Zeit ist gekommen, Beat steht wieder im Aufbahrungsraum. Er ist nur für dieses eine Mal nochmals hergerichtet worden und sieht sehr gut aus. Um die Augen herum wirkt er etwas eingefallener, aber das ist nicht dramatisch. Räto und Daniela haben sich an den Händen gefasst wie einst Hänsel und Gretel und folgen mir in den Aufbahrungsraum. An der Tür bleiben beide stehen, schauen sich an, und Daniela legt ihren Kopf an die Schulter ihres Schwiegervaters.
    Beide treten vor, und Daniela nimmt die Sachen auf, die sie beim letzten Mal mitgebracht hat. Wir haben sie ordentlich auf einen der Sessel gelegt. So, als ob nichts wäre, plappert sie auf Räto ein und erklärt ihm und vor allem ihrem toten Mann, was sie da alles mitgebracht hat. Ein Buch, sein Lieblingsbuch, eine CD mit seiner liebsten Musik und eine Lok von einer Modelleisenbahn, ein paar Schmetterlinge aus Papier, Fotos, einen Brief, eine Zeitschrift …
    Ich gehe.
    Eine gute halbe Stunde später schaue ich nach, Räto und Daniela sitzen Hand in Hand im Abschiedsraum, und mir fällt auf, dass der Sargdeckel geschlossen ist. Räto nickt mit dem Kopf in Richtung Sarg: »Hab ihn zugemacht, jetzt kann er auf die letzte Reise gehen.« Daniela nickt und wischt sich ein paar Tränen aus den Augen.
    »Jetzt bin ich fertig«, sagt sie, »jetzt weiß ich, dass er alles hat, und kann beruhigt sein.«
    Ich sage: »In der Trauerhalle ist auch schon alles gerichtet, morgen liefert ja sowieso keiner was. Alles ist schon fertig.«
    »Dürfen wir das sehen?«, will Räto wissen, und ich nicke: »Ja selbstverständlich.«
    Dann kommt mir eine Idee, und ich schlage vor, dass wir den Sarg gemeinsam rüberschieben und ohne weitere Worte fassen beide mit an. Langsam schieben wir Beats Sarg die etwa acht bis zehn Meter und dann steht er da, inmitten eines Meeres aus weißen Blüten. Das war der Wunsch von Daniela, und der Gärtner hat das genial umgesetzt. Kaum weiße Blumen, vielmehr große Vasen mit langen, weißblühenden Zweigen irgendeines Baumes. Es sieht einfach toll aus. Für den Sarg hat Daniela ein Herz aus weißen Blüten bestellt, und daran befindet sich eine schmale Schleife mit dem Aufdruck:
    »Gute Reise, mein Schatz!«
    Räto hilft mir noch, ein paar Gestecke vor den Sarg zu stellen, dann bleiben wir einfach eine kurze Zeit vor dem Sarg stehen. Daniela nickt auf einmal, sagt »So!« und dreht sich um, Räto tut es ihr nach, und wir gehen.
    »Wissen Sie«, sagt Daniela, »jetzt weiß ich, dass Beat auf seine Reise gehen muss, manchmal kann man es sich nicht aussuchen, wann und wohin man reist. Ich habe den Fehler gemacht, dass ich gedacht habe, er würde einfach ohne mich weggehen. Aber ich bin inzwischen dahintergekommen, dass er mein Mann geworden ist, in guten wie in schlechten Zeiten. Jetzt ist es vielleicht eine schlechte Zeit, und er kann jetzt nicht mehr mein Mann sein, aber vielleicht treffen wir uns eines Tages irgendwo, irgendwie wieder, das weiß doch keiner. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich im Jenseits wiedersieht, ist zumindest genauso groß wie die, dass man sich nicht wiedersieht, also hoffe ich mal das Beste. Hier und jetzt ist er weg und für mich unerreichbar, das Leben geht aber weiter, und hier in dieser Welt muss ich ohne ihn klarkommen. Es hat keinen Zweck, jetzt erzwingen zu wollen, gemeinsam irgendwohin zu gehen.«
    »Vor allem«, sage ich, »beträgt die Wahrscheinlichkeit, Ihrer Theorie nach 50 Prozent, und es wäre Dummheit, hätten Sie Ihr Leben für eine fünfzigprozentige Chance weggeworfen. Wenn es im Jenseits ein Wiedersehen gibt, dann gibt es das in vierzig Jahren auch noch.«
    Danielas Schwiegervater klopft

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