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Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig

Titel: Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wilhelm
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eine so starke emotionale Ausnahmesituation hineinsteigerte, dass wir eingreifen mussten. Wir erinnern uns alle noch an eine Frau, die sich aus lauter Verzweiflung zu ihrem toten Mann in den Sarg gelegt hatte, und wir vergessen auch den Mann nicht, der sich weigerte, die Aufbahrungszelle wieder zu verlassen.
    Für solche Fälle haben wir ja die Aufbahrungsräume mit kleinen, unauffälligen Kameras, Gegensprechanlagen und einem Alarmknopf ausgestattet.
    »Wenn irgendwas ist, drücken Sie einfach hier auf diesen Knopf«, sagen wir immer und zeigen den Leuten dann die grüne Taste der Gegensprechanlage. »Im Notfall betätigen Sie einfach die rote Taste hier.«
    Es kommt selten vor, dass das passiert, aber als Antonia Daniela leblos vorgefunden hat, war es mal wieder so weit.

    Zwei Stunden später rufe ich im Krankenhaus an, man will mir aber keine Auskunft geben. Dabei will ich doch nur wissen, wie es Daniela geht.
    Ich lasse Sandy noch mal dort anrufen, und Sandy sagt einfach, sie sei die Schwester von Daniela, und bekommt erstaunlicherweise sofort Auskunft: Daniela sei noch nicht wieder zu sich gekommen, aber ihr Zustand sei stabil.
    Wenigstens etwas, wir sind alle ein bisschen beruhigt, aber ich mache mir natürlich immer noch Vorwürfe.
    Den ganzen Tag über kann ich mich nicht richtig konzentrieren und bin mit den Gedanken bei Daniela. Die junge Frau tut mir so leid. Ich habe ja von Berufs wegen mit dem Tod und mit der Trauer zu tun, da bleibt es natürlich auch nicht aus, dass man über das eigene Ableben nachdenkt. Damit komme ich ganz gut klar, aber wenn ich darüber nachdenke, dass meine Frau sterben könnte oder gar eines der Kinder – nein, daran mag auch ich nicht denken.
    Daniela ist erst Ende zwanzig und schon Witwe. Sie und Beat waren in einem Alter, in dem man beginnt, Pläne für die Zukunft zu machen. All diese Pläne sind nun über den Haufen geworfen, nichts davon ist mehr real.
    Der Tag geht zu Ende, und im ganzen Haus herrscht eher eine gedrückte Stimmung. Es ist so, wie sich Außenstehende ein Bestattungshaus vorstellen, dabei geht es doch sonst bei uns immer ganz lustig zu.

    Am nächsten Tag muss ich mir Gedanken machen, wie es nun weitergeht. Beat liegt mittlerweile in einem anderen Abschiedsraum, denn die Kammer, in der er ursprünglich stand, muss renoviert werden. Das macht Manni mit seinem Schwager Helmut, und auch Carlos Gastro-Poda, der langsamste Handwerker, den ich kenne, will dabei helfen.
    Im vorderen Teil muss der Teppichboden raus, er ist hellgrau und nun voller Blut. Es ist erstaunlich, wie viel Blut ein Mensch verlieren kann, ohne zu sterben. Das müsste mal einer meiner kleinen Tochter sagen, die stirbt schon fast, wenn nur ein Tropfen Blut aus einer kleinen Fingerwunde austritt.
    Unsere Aufbahrungräume sind im hinteren rechten Teil des Gebäudes neben der Trauerhalle untergebracht. Von der Trauerhalle gibt es zwei Türen, die zum Gang vor den Zellen führen, so können die Angehörigen vor einer Trauerfeier hin und her gehen und Abschied nehmen.
    Jeder Aufbahrungsraum ist etwa 2,20 Meter breit und ungefähr doppelt so lang. Die hintere Hälfte hat einen Steinfußboden und kann durch eine herunterfahrbare Trennwand abgeteilt werden. Das muss so sein, denn der hintere Teil kann gekühlt werden, wobei sich immer Kondenswasser niederschlägt. Im vorderen Teil herrschen warme Farben, Teppichboden und bequeme Sitzmöbel vor.
    Dort würde ohne die Trennwand alles feucht und klamm, und es wäre dort auch bitterkalt. Natürlich schalten wir die Kühlung vor dem Besuch von Angehörigen ab, zünden Kerzen an und spielen auch manchmal leise Musik über die Lautsprecher ein.
    Im hinteren Teil, wo der Sarg steht, können wir wegen der Kälte leider nur künstliche Pflanzen aufstellen, aber die kleinen Lebensbäume sind fast schöner als echte.
    Solche Aufbahrungsräume gibt es mittlerweile in vielen Bestattungshäusern, das ist auch notwendig, denn die Abschiednahme auf öffentlichen Friedhöfen kann niemals so intensiv und persönlich sein wie bei uns. Auf einem Friedhof hier in der Nähe ist es sogar so, dass man den Verstorbenen nur durch eine Glasscheibe hindurch anschauen darf. Die Angehörigen nennen die verglasten Zellen abschätzig Aquarium. Und sie haben recht. Viel anders als im zoologischen Schauhaus sieht das nicht aus. Man hat keine Gelegenheit, an den Sarg heranzutreten, den Verstorbenen zu berühren oder ihm ein paar Blümchen oder Abschiedsgeschenke in den Sarg zu

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