Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
angenommen hatte: Sie war schon 38, und die ganze Geschichte hatte vor fünfzehn Jahren begonnen. Seitdem, so berichtete sie mir, werde sie verfolgt, ausspioniert und manipuliert. Über das Trinkwasser habe man Gift in ihre Wohnung eingeschleust, um sie willenlos zu machen, und in den Supermärkten tauschten die Geheimdienste alle Lebensmittel aus, um die Menschen mit Drogen unter Kontrolle zu bekommen. Das Ziel sei es, alle »Sehenden« blind zu machen für die Wahrheit. Die Welt würde nämlich von Außerirdischen regiert, und die Geheimdienste hätten die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das keiner merkt. Allerdings funktioniere der Plan der Geheimdienste nicht bei allen Menschen, und deshalb seien die Agenten hinter diesen »Sehenden« her.
Auweia, ist die aber heftig vom Bus gestreift, dachte ich und fragte vorsichtig: »Und weshalb sind Sie zu mir gekommen?«
»Bei Ihnen war noch Licht, und Ihr Haus hat dicke Mauern, da kommen die Strahlen nicht durch.«
Das leuchtete ein. Sie sprach weiter: Schon über 40-mal sei sie in die Psychiatrie eingeliefert worden und müsse eigentlich permanent schwere Medikamente nehmen, das tue sie aber nicht, weil dann die Stimmen in ihrem Kopf weggingen. Sie hört einundzwanzig verschiedene Stimmen, die ihr Befehle geben, und nur eine Stimme davon sagt ihr die Wahrheit und wie das wirkliche Leben ist. Wenn sie die Tabletten nimmt, verstumme auch diese Stimme, und sie sei »denen« ausgeliefert.
»Ist es Ihnen nicht schon mal komisch vorgekommen, dass wir jahrhundertelang nichts hatten, keine Technik, gar nichts, und wie lange wir gebraucht haben, um von der Erfindung des Rades über den Bau der ersten mechanischen Uhren bis hin zur ersten Dampfmaschine zu kommen? Und dann hatten wir auf einmal den Transistor, die Taschenrechner, die Raumfahrt, die Computer, alles, einfach alles.«
»Und das kommt alles von denen?«, fragte ich, und sie nickte heftig: »Genau, ich sehe, Sie verstehen mich!«
Ganz offensichtlich hatte ich es mit einer schwer psychisch gestörten Frau zu tun, die jemanden gesucht und gefunden hatte, um ihre Geschichte zu erzählen. Unsere Tante Hedwig hatte auch im festen Glauben gelebt, ihr Gartennachbar sei in Wirklichkeit Adolf Hitler, und nur sie merke das. Aber Tante Hedwig war im Krieg auch zu lange im Bunker gewesen, und jeder wusste, dass die einen Schatten hatte; vor allem ist sie nie nachts mit einem »Schutzgel« in den Haaren durch die Straßen gelaufen …
Was macht man in so einer Situation? Würde die Frau wieder gehen, oder würde ich jemanden anrufen müssen? Und wo ruft man da an? Die Polizei, die Feuerwehr? Die Frau tat mir nichts, und es brannte ja auch nicht …
Am besten würde es sein, sie dazu zu bewegen, einfach wieder nach Hause zu gehen.
»Wo wohnen Sie denn?«
»Dort hinten, Nummer 29 am Ende der Straße.«
»Wohnen Sie da allein?«
»Nein, wo denken Sie hin, da wohnt auch mein Mann.«
Aha, einen Mann hatte sie auch.
Das beruhigte mich ungemein, jetzt musste ich nämlich nur noch herausbekommen, wie sie heißt oder wie ihre Telefonnummer ist, und dann könnte ich den anrufen, damit er sie abholt.
»Der ist aber gehirngewaschen! Mit dem gehe ich nicht mit, der bringt mich nur wieder weg.«
»Es wäre doch aber besser, wenn Sie jetzt wieder nach Hause gingen. Sie können doch nicht die ganze Nacht hierbleiben.«
»Nur ein bisschen noch, ja?«
»Und dann?«
»Nach eins ist die Gefahr vorbei.«
Ich sah auf die Uhr – und obwohl es mir vorkam, als seien Stunden vergangen, seit die Frau in mein Haus gekommen war, sah ich, dass sie in Wirklichkeit erst eine knappe Stunde hier war. Bis eins waren es noch mehr als 30 Minuten. »Und dann, nach eins, was machen wir dann?«
»Dann bringen Sie mich nach Hause und passen auf, dass die mich nicht in die Kanalisation ziehen, ja?«
»Das kann ich machen«, sagte ich und nickte.
Sie nahm sich noch eine Zigarette aus der Packung, ich gab ihr wieder Feuer, und sie paffte, nun wirklich sehr entspannt, vor sich hin. Einzig an den nervösen Bewegungen ihrer Hände sah man, dass etwas nicht stimmte mit dieser Frau.
»Das Schlimmste für mich ist, dass mir keiner glaubt. Was meinen Sie, wie viele Leute ich schon kontaktiert habe. Sie sind einer der wenigen, die mir glauben.«
Sie berichtete von ihren Erlebnissen mit der Psychiatrie. Wie sie mit Gurten gefesselt abgeführt und dann ruhiggespritzt worden war. Die Therapeuten gehörten ihrer Meinung nach zu »denen«, und ich dachte mir,
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