Gestatten, Bestatter! - Bei Uns Liegen Sie Richtig
keiner rein.« Mit zögernden Schritten folgte sie mir, und ich führte sie in unser Beratungszimmer. Wir haben mehrere solcher Räume, von denen jeder völlig anders eingerichtet ist.
Einer ist in nüchternem Office-Grau gehalten, ein anderes ist eher auf Chefbüro getrimmt, und dieses Zimmer ist mit Holz getäfelt, hat einen dicken Teppichboden und schweres dunkles Mobiliar sowie breite, sehr bequeme Ledersessel. Meine Leute sagen immer »das Herrenzimmer vom Chef« dazu, weil ich mir diese Möbel ausgesucht hatte.
Ich deutete auf einen der Sessel, und die junge Frau nahm Platz.
Ich schloss die Tür, setzte mich ebenfalls und hatte das erste Mal Gelegenheit, mir die Frau näher anzuschauen. Sie sah nicht schlecht aus, fand ich. Ein bisschen wie Sandra Bullock, nur irgendwie ungepflegter. Doch noch während ich das dachte, ging mir durch den Kopf, dass »ungepflegt« nicht der richtige Ausdruck war, eher würde »mitgenommen« passen. Ränder unter den Augen, bebende Lippen, die Finger ständig nervös an den unteren Zipfeln ihrer Bluse nestelnd. Auffallend lange braune Haare und wunderschöne schlanke Hände mit ebenfalls auffallend langen Fingern. Keine Schminke, aber ein leichter Duft. Nein, nicht ungepflegt, sondern gehetzt und mitgenommen.
»Was kann ich denn für Sie tun?«
»Hier kann keiner rein, nicht wahr?«
»Nein, niemand. Was ist denn mit Ihnen?«
Jetzt müsste sie mir sagen, dass irgendjemand gestorben ist, dass sie vollkommen durch den Wind ist und dass wir uns um den Sterbefall kümmern sollen. Das hoffte ich zumindest insgeheim, aber eigentlich wusste ich schon die ganze Zeit, dass es nicht so kommen würde.
»Ich habe solche Angst«, begann sie stockend, »die sind hinter mir her!«
»Wer ist hinter Ihnen her?«
»Die Männchen aus dem Fernseher«, sagte sie, schaute mich mit großen Augen an und nickte bestätigend.
»Eine Verrückte«, schoss es mir durch den Kopf, und ich ertappte mich dabei, wie ich sie musterte, um festzustellen, ob sie vielleicht irgendwo ein langes Messer versteckt haben könnte.
Verrückten soll man ja möglichst nicht widersprechen, und deshalb sagte ich nur langsam nickend: »Ach die.«
»Sie kennen das?«, fragte sie, und in ihrer Stimme schwang Erleichterung mit. Ich nickte und schaute sie auffordernd und ermunternd an. »Kaffee?«, fragte ich, und sie nickte heftig.
Es dauerte drei Minuten, bis der Kaffeeautomat auf Betriebstemperatur war. Wir schwiegen, und als die Maschine nach fünf Minuten endlich zwei Tassen mühselig und laut zischend mit Kaffee befüllt hatte, stellte ich eine davon vor sie auf das Tischchen und eine auf eine Ablage neben meinem Sessel. Aus der Brusttasche zog ich mein Päckchen Zigaretten und hielt es ihr hin. Während sie sich eine Zigarette herauszog, sagte sie: »Das geht heute schon den ganzen Tag so, das ist ein schlimmer Tag. Das hat schon heute Morgen mit der Zeitung angefangen.«
Ich gab ihr Feuer und steckte mir auch eine Zigarette an, während sie gierig an ihrer zog, und ich hatte den Eindruck, als ob sie etwas auftauen würde.
»Warum haben Sie denn nasse Haare? Wollen Sie ein Handtuch oder so etwas?«, fragte ich, doch sie schüttelte den Kopf und sagte: »Das ist kein Wasser, das ist Schutzgel.«
»Ach ja, natürlich«, sagte ich und überlegte insgeheim, ob ich mich für einen Augenblick nach nebenan begeben sollte, um die Männer mit den weißen Kitteln anzurufen. Aber eigentlich war sie ja ganz nett und machte nicht den Eindruck, als wolle sie mir die Kehle durchbeißen.
Nachdem sie ein paarmal am heißen Kaffee genippt hatte, lehnte sie sich zurück, und es schien, als entspannte sie sich noch mehr. Ich holte zwei Aschenbecher und setzte mich wieder. »Los, jetzt erzählen Sie doch mal der Reihe nach!«
»Also gut: Ich bin aufgestanden und habe die Sonntagszeitung reingeholt, und da habe ich es gesehen. Die haben wieder nur Sachen in die Zeitung geschrieben, um mich zu manipulieren. Seit fünfzehn Jahren sind die hinter mir her.«
»Wer ist hinter Ihnen her?«
»Der KGB und die CIA, alles Agenten, überall!«
»Und was machen die so?«
»Die haben die ganze Stadt ausgehöhlt, überall Tunnel gegraben, und bei Nacht kommen sie heraus und holen die Menschen. Die Straßen sind gerade wieder vollkommen leer, alle weggeholt. Morgen früh sind die alle wieder da – nach der Gehirnwäsche. Mit mir können sie das nicht machen, ich habe ja das Schutzgel.«
Ich erfuhr, dass die Frau älter war, als ich
Weitere Kostenlose Bücher