Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Zerstörung.«
Viele Jahre später habe ich den so wortgewaltig gescholtenen Professor White, inzwischen ein klein gewordenes altes Männchen, in Dresden wiedergetroffen. Er hielt einen Vortrag über, ja genau, Chancen und Möglichkeiten der Kopftransplantation. Als ich ihn fragte, warum er sie denn immer noch nicht bei Menschen vorgenommen habe, grinste er fröhlich. Er habe die Forschungsmittel, die seine Berühmtheit dem Metropolitan General Hospital eingebracht hätte, leider ganz und gar für die Grundlagenforschung gebraucht. Offenbar hatte er doch nur geblufft.
Durch meine Sendungen war ich in der Szene bekannt geworden. Ich hatte den Kurt-Magnus-Preis für Nachwuchsjournalisten erhalten und wurde daraufhin erstmals zum Programmdirektor vorgeladen. Das war gerade noch, in seinem letzte Dienstjahr, der für seine Silvesteransprachen berühmte Walter von Cube. Ich kam freudig erregt in sein Büro. Er war auch optisch eindrucksvoll. Eine barocke Gestalt von ungeheurer Leibesfülle, mit weißen Locken, so thronte er hinter seinem Schreibtisch und blickte wohlwollend auf mich hernieder. »Ein Journalist im Rollstuhl«, tönte er mit der berühmten tiefen Stimme, »geht denn das überhaupt?« Ich erklärte ihm, dass das schon möglich sei, und sagte: »Wo ich hinmuss, bin ich noch immer hingekommen.« Er blickte an sich hinunter und meinte traurig: »Sehen Sie, das kann ich von mir nicht behaupten.« Als kurze Zeit später die Anschnallpflicht im Auto eingeführt wurde, verfasste er einen wütenden Kulturkommentar gegen den »Zwang zur Selbstfesselung«. Wer ihn gesehen hatte, konnte es verstehen.
»Sind wir zu negativ?« – Überlegungen zum Journalismus
Ich bin also eher zufällig zum Journalismus gekommen. Ungefähr wie man in eine Grube fällt. Hätte mich Franz Heubl nach meinem Unfall bei der Bundesbahn und nicht beim Bayerischen Rundfunk empfohlen, wäre ich vermutlich Schalterbeamter oder Bundesbahnpräsident geworden. Diese von keiner frühen Leidenschaft verklärte Beziehung hat möglicherweise dazu geführt, dass ich das Journalistengewerbe etwas distanzierter betrachtet habe als manch ein »geborener« Journalist. Dabei ist mir relativ früh aufgefallen, dass es zwischen der Selbsteinschätzung derKaste und dem Urteil der, sagen wir mal, bürgerlichen Bevölkerung eine ziemliche Kluft gab. Auf der einen Seite ein unübersehbares Elitebewusstsein, man war nicht irgendjemand, sondern die »vierte Gewalt«, die Speerspitze der Demokratie. Die Pressefreiheit stand schließlich im Grundgesetz, da konnte man den Kopf schon hoch tragen und Noten verteilen, auch wenn man nur ein kleiner freier Mitarbeiter in der Lokalredaktion war. Auf der anderen Seite ein unverkennbares Misstrauen gegenüber diesen Kreisen. Man musste ihnen zwar behutsam begegnen, sie waren ja nicht ungefährlich, aber gemocht hat man sie nicht. Martin Walsers Satz: »Die Medien dürfen alles und müssen nichts. Keine Macht ist so illegitim wie die der Medien«, wäre von jedem Münchner Chefarzt unterschrieben worden. Und auch der schöne Satz von Agatha Christie: »Ich habe Journalisten nie gemocht. In meinen Büchern habe ich sie immer sterben lassen«, hätte ungeteilten Beifall erhalten.
Mir kam diese Reserviertheit gegenüber meinem neuen Beruf nach meinen ersten Erfahrungen in der Branche nicht ganz unverständlich vor. Die Art, in der da Leute, die selber oft nicht sehr viel mehr aufzuweisen hatten als ein abgebrochenes Studium, den andern den Lauf der Welt erklärten und auch noch genau wussten, wohin dieser Lauf gefälligst zu gehen habe, fand ich seltsam. Auch das hohe moralische Ross, von dem aus da gekämpft wurde, kam mir merkwürdig vor, vor allem als ich mitbekam, wie die Moralisten gleichzeitig ungeniert ihren Journalistenrabatt einforderten und fast alle Waren und Dienstleistungen um zehn oder zwanzig Prozent billiger haben wollten. Ich habe damals angefangen, mich auch theoretisch mit dem Journalismus zu befassen, und unter anderem einen Kulturkommentar geschrieben mit dem Titel »Sind wir zu negativ? Aktuelle Überlegungen zur journalistischen Verantwortung«. In diesem Kommentar habe ich die Notwendigkeitdes kritischen Journalismus für eine demokratische Gesellschaft uneingeschränkt bejaht, aber auch ein paar Fragen gestellt. Das klang dann so:
»Journalistische Kritik ist für unser System ohne Frage lebensnotwendig – aber wohl nicht als Selbstzweck, als sakrosanktes Ritual, das sich außerhalb jeder
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