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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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Legitimationspflicht ungestört vollziehen darf … Seit dem Ende der sechziger Jahre gibt es im Journalismus erkennbar und zunehmend die Tendenz, die dienende Funktion der Kritik außer Acht zu lassen und ohne viel Gefühl für Folgen und Verantwortung das kritische Geschäft um seiner selbst willen zu betreiben. Die praktischen Auswirkungen dieser Haltung kennen wir alle: Da wird mit großer anklägerischer Geste auch noch der kleinste Mini-Missstand zur Großreportage aufgebläht, da wird das Gute und Erträgliche, das es in unserer Gesellschaft ja auch noch gibt, nicht nur übergangen, sondern denunziert und das Auge starr und unbeirrbar auf tatsächliche oder vermeintliche Faulstellen gerichtet; da wird Missmut, Überdruss und schlechte Laune gefördert, indem man mit inquisitorischem Eifer und ohne Sinn für Relationen den Menschen ihre Schwäche, dem Leben seine Unzulänglichkeit und der Welt ihre Schlechtigkeit nachweist.«
    Ich habe dann gefordert, dass angesichts der zunehmenden zentrifugalen Kräfte in unserer Gesellschaft auch im Journalismus ein Element notwendig sei, »das
     bisher dank glücklicher Umstände kaum gefordert war – nämlich eine bewusst praktizierte Verantwortung für den demokratischen Rechtsstaat und eine
     erkennbare Solidarität mit diesem Staat«. Das würde heute kaum jemand bestreiten, aber damals empfanden es manche Kollegen als Kriegserklärung. Der
     Kommentar wurde heftig diskutiert, in der BR-Redaktionskonferenz, aber auch außerhalb. Der damalige bayerische Innenminister Gerold Tandler hat mich
     eigensin sein Ministerium eingeladen, weil er den Journalisten kennenlernen wollte, der solche Standpunkte vertrat. Und bei einem Neujahrsempfang in der
     Münchner Residenz wurde ich, was für einen kleinen Redakteur keine Selbstverständlichkeit war, sogar Franz Josef Strauß vorgestellt, und zwar, ich muss es
     gestehen, durch Franz Schönhuber. Dieser Schönhuber, der in den kommenden Jahren immer mehr in rechtsradikale Kreise abdriftete, war damals noch ein
     angesehener Mann in Bayern: Vorsitzender des Bayerischen Journalistenverbands, Chefredakteur im Bayerischen Fernsehen, populärer Moderator der
     Wirtshaussendung »Jetzt red i«, persönlicher Freund des Ministerpräsidenten und so gut vernetzt, dass er später das Augenmaß verlor und glaubte, er könne
     Strauß herausfordern. Als er 1981 in dem Buch »Ich war dabei« auch noch seine Zeit als Freiwilliger in der Waffen-SS verherrlichte, brach ihm das das
     politische Genick. Der unselige Versuch, mit den Republikanern rechts von der CSU nochmals in das Machtspiel zurückzukommen, ging nach einigen Anfangserfolgen völlig daneben.
    Damals war er in Bayern noch allseits beliebt und wohlgelitten. Er fasste mich an der Schulter, öffnete den Kreis der Höflinge, die sich wie immer um Strauß drängten, und schob mich dem massigen, stiernackigen Mann mit dem großen roten Schädel und dem Sektglas in der Hand entgegen. »Franz Josef, des is der Udo Reiter vom Bayrischen Rundfunk. Auf den musst aufpassn, aus dem wird nomal was«, sagte er, woraufhin mich Strauß freundlich ansah, mir die Hand reichte und »Alles Gute« wünschte.
    Es war einfach, Strauß als rücksichtslosen Machtmenschen zu kritisieren. Der Spruch von Hans-Jochen Vogel, er sei ein »Kraftwerk ohne Sicherung«, war ja nicht völlig aus der Luft gegriffen. Auch die heute allseits und zu recht geforderte Trennung von persönlichen Vorteilen und politischemAmt war sicher nicht seine Stärke. Peter Gauweiler hat das einmal so dargestellt: Natürlich habe Strauß sich von irgendwelchen industriellen Freunden in den Urlaub einladen lassen. »Aber als er zurückkam, hatte er drei Airbusse verkauft.« Heute fährt man in den Urlaub und gibt hinterher eine Pressekonferenz, auf der man erklärt, dass man alle Scampi selber bezahlt habe. »Ich frage mich«, so Gauweiler nachdenklich, »was nun wirklich besser ist.« Für die Linken bot Strauß jedenfalls das ideale Feindbild, an dem sie zu Höchstleistungen aufliefen. Ein Spruch aus diesen Anti-Strauß-Feldzügen ist mir in Erinnerung geblieben: »Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber. Wie sieht so ein Metzger aus? Wie der Kriegsminister Strauß.«
    Allen Anfeindungen zum Trotz, Strauß war eine imposante Figur, körperlich, mental, intellektuell. Ich habe zu seinem siebzigsten Geburtstag ein langes Gespräch für den Hörfunk mit ihm geführt. Es gehörte zu den besten politischen Interviews, die

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