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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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ich gemacht habe (durch seine Antworten). Und wenn er zur Eröffnung der Starkbiersaison mit seinem Gefolge zum Bayerischen Defiliermarsch durch die Bier- und Zigarrenschwaden in den Festsaal auf dem Nockerberg einzog, den bulligen geröteten Kopf tief zwischen die Schultern eingezogen, schwer schnaufend und nach allen Seiten huldvoll grüßend, dann spürte man etwas von der elementaren Kraft, die Bayern von anderen Bundesländern unterscheidet.

Ein Spritzer rotes Gift
    Im Bayerischen Rundfunk tat sich etwas. Die Senderspitze war, wie es sich damals für Bayern gehörte, schwarz, aber an der Basis waren die
     ersten Vertreter der Achtundsechziger-Generationeingerückt und sorgten für Unruhe. Vor allem eine Sendung machte von sich reden: das »Notizbuch«,
     ursprünglich ein eher biederes Hausfrauen- und Verbrauchermagazin, das jeden Morgen zwischen zehn und elf im reichweitenstarken ersten Programm des
     Hörfunks lief. Dort hatte sich unter der liberalen mütterlichen Leitung einer gewissen Lore Walb eine Truppe junger Leute zusammengefunden, die eine
     andere Vorstellung von Journalismus hatte, als es bisher im BR üblich war. Es waren, grob gesagt, Linke, was man schon an ihrem Habitus erkennen konnte. Jeans, Turnschuhe, T-Shirt, andere komplett in existentialistischem Schwarz. Jedenfalls keine Trachtenanzüge wie in der Bayernredaktion. Diese neue Mannschaft veränderte zunehmend auch die Inhalte der Sendung. »Betroffenenjournalismus« hieß ein Schlagwort, »Kritischer Journalismus« sowieso, mit dem Ergebnis, dass die bayerischen Männer, wenn sie abends von der Arbeit oder aus dem Wirtshaus nach Hause kamen, sich immer häufiger spitzen Fragen ihrer Frauen ausgesetzt sahen. »Diese roten Saukerle verderben uns unsere Frauen«, hat mir einmal ein Dorfbürgermeister empört gesagt. Das Thema »Notizbuch« zog immer weitere Kreise, bis hinein in den bayerischen Landtag. »Überall«, so Franz Josef Strauß persönlich, »ein Spritzer rotes Gift!«
    Ich war damals noch in der Wissenschaftsredaktion, und weil das »Notizbuch« immer zu der Zeit lief, als ich gerade zur Arbeit fuhr, habe ich mir die Sendungen regelmäßig angehört. Sie waren gut gemacht, meistens jedenfalls, aber sie gingen alle in dieselbe Richtung. Von Pluralität keine Spur, stattdessen gesellschaftspolitischer Missionsjournalismus. Ich fand den Zorn der Konservativen nicht ganz unberechtigt. Als nun die Zeit kam, dass Lore Walb in Pension gehen sollte, war die Nachfolgefrage ein beherrschendes Thema, weit über den Bayerischen Rundfunk hinaus.Die bayerischen Regionalzeitungen waren voll, auch die »Süddeutsche Zeitung« widmete dem Thema etliche Artikel. Eine überzeugende Lösung war nirgends in Sicht. Eines Tages, man muss schon sehr verzweifelt gewesen sein, ließ mich Gunthar Lehner, der 1972 Nachfolger Walter von Cubes als Hörfunkdirektor geworden war, zu sich kommen und fragte mich, ob ich nicht Chef des Familienfunks werden wollte. Ich war in keiner Partei, galt aber auf Grund meiner Kommentare und meiner Diskussionsbeiträge in den Redaktionskonferenzen als konservativ. Einen liberalen Konservativen hätte ich mich selbst genannt, einen Reaktionär nannten mich meine Feinde, die ich bald in beträchtlicher Anzahl haben sollte. Mir war klar, dass ich auf den Widerstand der gesamten Redaktion stoßen würde. Aber mir war natürlich auch klar, dass das unter karrieretechnischen Gesichtspunkten eine einmalige Chance war. Ich hatte es schön in der Wissenschaftsredaktion, gar keine Frage, aber ich war dort erst freier Mitarbeiter, dann kleiner Redakteur, die letzte Verantwortung hatten immer andere. Das hatte mich gelegentlich schon genervt. Kurzum: ich nahm das Angebot an und wurde 1980 Chef des Familienfunks und damit Sieger im Kampf um das »Notizbuch«.
    Der Preis, den ich dafür zu zahlen hatte, war ziemlich hoch. Ich wurde von der alten Mannschaft systematisch gemobbt. Man schloss die Reihen, enthielt mir Informationen vor, kopierte meine Briefe und gab sie weiter, ließ mich ins Leere laufen und mobilisierte die befreundeten Kollegen in der Presse. Die »Humanistische Union« in München berief damals eine Versammlung ein, in der »Gegenmaßnahmen« beraten werden sollten. Laut Protokoll wurde unter anderem eine öffentliche Kabarettveranstaltung beschlossen, bei der der neue Familienfunkleiter ›in die Pfanne gehauen‹ werden sollte, Hörerbriefaktionen anden Intendanten, mit denen gegen die neue Entwicklung protestiert

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