Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
nächsten Jahren ungewöhnlich rasch in Spitzenpositionen gelangen … sollte. Der im BR von vielen als Hardliner eingeschätzte Reiter hatte ein zweites, gleichsam bubenhaftes Gesicht: er ist in die anarchischeLeichtigkeit von Thomas geradezu vernarrt und weiß, dass man ein solches Talent nicht mit der normalen Personalelle messen darf.«
Das haben nicht alle im BR so gesehen. Die »anarchische« Komponente, die Gottschalk zweifellos hatte, hat bei einigen Sender-Monarchen zum Teil erbitterten
Widerstand ausgelöst. Josef Othmar Zöller, der B3-Chef, kämpfte für die Reinheit seiner Verkehrsdurchsagen und war der festen Überzeugung, dass
humoristische Einlagen die Verkehrssicherheit gefährden würden, den konservativen Musikgestaltern war Gottschalks Musikgeschmack viel zu progressiv und
unbayerisch, und wieder anderen passte die ganze Richtung nicht. »Gottschalk, Sie sollen moderieren, nicht plaudern«, sagte einer. Er hat es seinen
Gegnern leicht gemacht und ihnen die Munition frei Haus geliefert. So waren beispielsweise die Rundfunkratssitzungen in München öffentlich. Jeder konnte
hin. Mir schwante nichts Gutes, als ich ihn eines Sitzungstages mit seiner umgedrehten Baseballmütze auf der Zuschauertribüne sitzen sah. Und prompt
begann er am nächsten Tag seine Sendung mit einem entsprechenden Bericht: »Ich war gestern im Rundfunkrat. Ihr wisst wahrscheinlich nicht, was das ist. Am
besten stellt ihr euch das vor wie eine Mischung aus Zentralkomitee und Elferrat.« Ich durfte nicht zugeben (der Rundfunkrat war ja mein
Aufsichtsgremium), dass ich diese Beschreibung nicht nur witzig, sondern auch extrem zutreffend fand. Sie traf ins Schwarze (natürlich nur in Bezug auf
den damaligen Rundfunkrat des BR!) und löste im ganzen Haus sardonisches Gelächter aus. Außer bei den Betroffenen. Prälat Henrich, Vorsitzender des Hörfunkausschusses und Intimfeind von Gottschalk, eröffnete die nächste Sitzung und fragte, ob es inzwischen üblich sei, dass die Vertreter der demokratischen Gesellschaft in den Rundfunkräten von freien Mitarbeitern im Programm öffentlich diffamiert und diskreditiert würden? Er verlangte strengste Sanktionen. Ich stotterte etwas vom König und seinem Hofnarren, der ja auch ungebührliche Dinge sagen durfte, ohne gleich geköpft zu werden, und versicherte dem Herrn Prälaten, dass ich Gottschalk einen strengen Verweis erteilen und in seine Schranken verweisen würde. Als der Delinquent das nächste Mal in meinem Büro auftauchte, setzte ich zu einer entsprechenden Verwarnung an, die aber in wechselseitigem Gelächter unterging.
Ich habe Thomas Gottschalk, der mich dafür netterweise heute noch öffentlich lobt, aus Überzeugung in Schutz genommen. Er war ein Radiogenie, ein
begnadeter Entertainer, das mit Abstand größte Talent auf diesem Sektor, das mir in meiner langen Laufbahn begegnet ist. Seine Schlagfertigkeit, die
inzwischen ja einem Millionenpublikum bekannt ist, hat ihn schon damals ausgezeichnet. Er kam immer gegen 16 Uhr nach seiner »B3 – Radioshow« auf einen
Sprung in mein Büro, um Hallo zu sagen. Eines Tages saßen drei Generäle vom Oberkommando Nato-Südost zu irgendeinem Antrittsbesuch bei mir auf dem
Sofa. Gottschalk kommt herein, sieht die Herren mit ihren Uniformen und Ordensspangen und sagt fröhlich: »Ah, die Feuerwehr!« Ein andermal rief während
seiner Sendung eine Hörerin an: Sie habe eine Schlange in ihrem Gartenhäuschen, was sie denn tun solle. Gottschalk ließ sich die aufgeregte Dame in die
Sendung geben und fragte sie zunächst, ob sie denn sicher sei, dass es sich um eine Schlange und nicht um einen Gartenschlauch handle. Dann führte er ein
Schlangenbekämpfungsgespräch mit ihr, das in die BR-Geschichte einging. Von ein paar engherzigen Funktionären abgesehen haben ihm auch Leute, die von seinen Scherzen direkt betroffen waren, diese nie übel genommen. Das hängt wohl damit zusammen, dass seine Späße und seine Bemerkungen nie gehässig oder bösartig waren. Dazu mag Gottschalkdie Leute zu sehr. Die Herzlichkeit, die er ausstrahlt und die bei vielen Showgrößen mehr oder weniger gekonnte Schauspielkunst ist, kommt bei ihm von innen. Er war damals so, und er ist immer noch so. Freundlich, gescheit, gebildet, lebenslustig, hilfsbereit, harmoniebedürftig und mit einer ausgeprägten Allergie gegen Sektierertum und Miesepeterei. Ich habe nie jemanden erlebt, den eine große Medienkarriere so wenig verändert hat
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