Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
am
Beginn seiner Intendantenlaufbahn mit dem Journalismus nicht viel im Sinn hatte. Im Lauf der Jahre hat er sich aber zu einer Galionsfigur des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks entwickelt und die Fahne des BR gegen alle Widerstände auch in der eigenen Partei hochgehalten. Dieser Reinhold Vöth
also, der mich sehr mochte, ließ mich kommen und eröffnete mir in seinem breiten fränkischen Dialekt, dass es Leute gebe, die mich als Nachfolger von
Gunthar Lehner sehen wollten. »Aber des geht net«, sagte er, »dafür san Sie viel zu jung. Was könne mer denn da mache?« Mein vorsichtiger Hinweis, dass
einer der bedeutendsten deutschen Kaiser des Mittelalters, Heinrich VI., mit sechsunddreißig Jahren schon tot war, entlockte ihm nur ein brummeliges »Mir
san aber net im Mittelalter«. Daraufhin entwickelte ich eine andere Idee. Ich will meinen Einfluss auf Reinhold Vöth nicht überbewerten, aber er schlug
nach unserem Gespräch dem Rundfunkrat vor, Gustava Mösler zur neuen Hörfunkdirektorin zu berufen. Sie wurde mit großer Mehrheit gewählt und ernannte mich
1983 zum Chefredakteurund Hauptabteilungsleiter für Politik und Wirtschaft. Drei Jahre später ging sie in Pension, und ich wurde ihr Nachfolger. Ich saß
von da an am Schreibtisch von Walter von Cube und hielt am 31. Dezember 1986 meine erste Silvesteransprache. Meine Mutter sagte mir ein paar Tage später
am Telefon, dass sie mich in Rickenbach gehört und dabei geweint hätte. Später habe ich ihr noch eine Freude gemacht. Unter leichtem Missbrauch meiner
Amtsgewalt ließ ich zu ihrem siebzigsten Geburtstag im BR-Glückwunschkonzert einen Titel spielen, der in ihrer Jugend zu ihren Lieblingsliedern gehört
hatte. »Der Fremdenlegionär«, längst vergriffen und nirgends mehr zu hören. Im BR-Schallarchiv haben wir ihn gefunden. »Gefangen in maurischer Wüste / liegt ein sterbender Fremdenlegionär. / Seine Augen nach Norden gerichtet, / seine Heimat die sieht er nicht mehr.« Dann ziehen irgendwelche Schwalben nach Norden und kehren ohne Gruß wieder. Und »jenseits am Ufer des Rheines« wartet eine trauernde Mutter. Ein furchtbarer Kitsch, der zu Recht weder vorher noch nachher je gespielt worden ist. Meine Mutter hatte sicher wieder Tränen in den Augen.
Von Reinhold Vöth, der bestimmt kein Intellektueller war, ist mir übrigens ein Satz in Erinnerung geblieben, den man ihm gar nicht zugetraut hätte. »Dr. Raidr«, hat er einmal zu mir gesagt, »in unserm Gewerbe wird ma entweder zinisch oder depressiv. Und depressiv wer mer ned.«
»Pferde auf der Fahrbahn«
Wenn ich heute überlege, was ich, von Radiosendungen und Fernsehfilmen abgesehen, dem BR Gutes gebracht habe, dann sind es vor allem zwei Dinge: »B5 aktuell« und Thomas Gottschalk.
Anfang der siebziger Jahre war ich auf der Nobelpreisträgertagung in Lindau. Das war für einen Wissenschaftsredakteur des Bayerischen Rundfunks ein Pflichttermin. Weil ich am nächsten Tag eine Sendung hatte, fuhr ich abends mit dem Auto zurück nach München. Ich hörte »Bayern 3«, die neu gegründete Servicewelle des BR. Leichte Musik, Nachrichten, Verkehrsdurchsagen. Man brauchte nur mit halbem Ohr zuzuhören. Diesem halben Ohr fiel bei einer dieser Verkehrsdurchsagen etwas auf. Ich drehte lauter, aber da war es schon vorbei. Bei der nächsten Durchsage hörte ich genauer hin. Was war denn das? In den üblichen langweiligen Sound und die immer gleichen Formulierungen mischte sich etwas bis dato Unerhörtes. Da machte sich einer einen Jux mit den Verkehrsmeldungen: »Achtung Autofahrer auf der Autobahn Starnberg-Garmisch: Vor Seeshaupt befinden sich Pferde auf der Fahrbahn!« Bis dahin war es okay, aber jetzt: »Wenn Sie vorbeikommen, halten Sie bitte ein Büschel Heu aus dem Fenster!« Ich hörte weiter zu. Der junge Mann war von ansteckend guter Laune, hatte einen ganz eigenen Tonfall, fiel völlig aus dem Rahmen der gängigen Moderatorenroutine. Am nächsten Morgen fragte ich nach, wer gestern Abend in »Bayern 3« Dienst gehabt hatte. Das sei ein gewisser Thomas Gottschalk gewesen, hieß es, er sei Student und verdiene sich als Stationssprecher ein Zubrot. Dies war der Beginn einer Beziehung, die bis heute andauert und die Gert Heidenreich in seiner Gottschalk-Biographie so beschrieben hat: »Gottschalk hatte, ohne dies zunächst zu wissen, einen neuen Fürsprecher im Haus: Dr. Udo Reiter, noch am Beginn seiner Rundfunkkarriere. Ein junger, ehrgeiziger Konservativer, der in den
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