Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Buchbesprechungen machte ich besonders gern für ihn, da konnte man die Hälfte der Sendung mit Zitaten bestreiten und kam zügig voran.
In diesem Jahr starb mein Vater. Obwohl sein Stammapostel längst tot war und die Gemeinde nicht wie versprochen zu seiner Lebenszeit in den Himmel geholt wurde, hatte mein Vater bis zum Schluss an seinem merkwürdigen Glauben festgehalten. Dies sei die letzte schwere Prüfung, war die Sprachregelung, mit der die Neuapostolischen das Desaster zu kaschieren versuchten. Mit Rücksicht auf den väterlichen Glauben war ich pro forma in seiner Kirche geblieben. Einen Austritt seines ältesten Sohnes hätte er als schweres persönliches Versagen empfunden. Das wollte ich ihm nicht antun. Jetzt, nach seinem Tod, bereinigte ich diese krumme Front und wurde katholisch. Nicht aus Gläubigkeit, sondern eher aus Ordnungssinn. Bayern war katholisch, und ich mochte seine Barockkirchen und Fronleichnamsprozessionen, bei denen in Rottbach der Huber Peter immer den Himmel trug. Dazu kam, dass mich als gelernten Mittelalter-Historiker die kulturelle und politische Bedeutung der römischen Kirche im Abendland immer fasziniert hatte. Der Kaiser als Führer der Christenheit zum ewigen Heil, das war ein Politikverständnis, das mich in seiner radikalen Andersartigkeit zu heutigen Politkonzepten interessiert hat. Der Begriff katholischer Atheist dürfte meine Religiosität vermutlich bis heute am besten charakterisieren. Kulturkatholik, könnte man freundlicher sagen.
Franziska Gustava
Am 20. August 1982 kam im städtischen Krankenhaus München-Pasing meine Tochter zur Welt. Ich weiß, dass ein solches Ereignis bei einem Querschnittgelähmten Fragen provoziert, nicht offen, das wäre ja taktlos, aber hinter vorgehaltener Hand. Ich habe die entsprechenden Blicke damals sehr wohl zur Kenntnis genommen. Es war ja in der Tat so, dass querschnittgelähmte Männer früher zeugungsunfähig waren und keine Kinder in die Welt setzen konnten. Dass sich die Medizin dieser Problematik annahm und Verfahren entwickelte, die nicht nur Sex möglich machen, sondern auch zu einer Ejakulation verhelfen, war dem schon erwähnten Ludwig Guttmann und seinen Nachfolgern zu verdanken. Heute kann nahezu jeder querschnittgelähmte Mann, der dies will, durch Elektrostimulation zu eigenem Nachwuchs kommen.
Ich habe mich über die erfolgreiche Schwangerschaft meiner Frau wahnsinnig gefreut. Bei der Geburt war ich trotzdem nicht dabei, das war mir zu modernistisch. Ich habe meine Frau zwar morgens um vier in die Klinik gefahren, dann aber zu Hause neben dem Telefon auf den befreienden Anruf gewartet. Dass sie dann sagte: »Es ist ein Mädchen, aber sie sieht aus wie ein kleines Äffchen«, fand ich sehr unpassend. Wer meine Tochter kennt, weiß, dass dieser erste Eindruck ihrer Mutter völlig falsch war. Es wurde ein schönes Mädchen, das wir auf den Namen Franziska und, nach der Patentante Gustava Mösler, mit zweitem Namen Gustava taufen ließen.
Ich war, um das auch gleich abzuhandeln, ein schlechter Vater. Zwar habe ich sie gelegentlich ins Bett gebracht und ihr »Guten Abend, gut Nacht, mit Röslein bedacht« vorgesungen. Die Stelle »morgen früh, wenn Gott will« erregte immer große Heiterkeit bei ihr, weil mein Versuch, bei dem »früüüh« die nötige Höhe zu erklimmen, offenbar schon bei einem Kleinkind parodistisch wirkte. Später, als sie Probleme hatte, ein ordentliches »f« auszusprechen, habe ich auf Rat des Logopäden mit ihr Kerzen ausgepustet. Manchmal sind wir auch zusammen Rollstuhl gefahren. Ich hab sie auf den Schoß genommen und bin mit ihr die Dorfstraße hinuntergesaust. Einmal sind wir umgekippt. Das Kind lag im Graben, ich auf der Straße, der Rollstuhl trotzig zehn Meter weiter. Die Mutter hat mit uns geschimpft, aber wir mussten furchtbar lachen.
Im Garten hat Franziska unter meiner Anleitung mit einer Gartenschere und großem Vergnügen rote Nacktschnecken auseinandergeschnitten. Der Rekord stand bei 72 Stück. Das war es dann aber schon mit meinen pädagogischen Leistungen. Der Beruf ging mir immer vor, und dass ich später ohne Rücksicht auf Frau und Kind nach Leipzig ging, war kein väterliches Ruhmesblatt. Es gibt einen Brief meiner dreizehnjährigen Tochter, den ich aufgehoben habe und der mich heute noch beschämt, wenn ich ihn lese:
Hi Papa!
Wie geht’s, wie steht’s? Mir geht es bis auf den Schnupfen ganz gut. Er geht einfach nicht weg.
Ich fände es besser, wenn du hier wärst!
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