Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
in den Ausschuss für Kultur und Medien und dort den Abgeordneten einen Intendanten für den neu gegründeten Mitteldeutschen Rundfunk vorschlagen. »Ob ich nicht Lust hätte, das zu machen?« Noch einmal: »Ob ich nicht Lust hätte, das zu machen?« Ich war platt. Mit allerlei hatte ich gerechnet, aber damit nicht. »Wie kommen Sie denn auf mich?«, fragte ich ihn völlig verdutzt. Kurt Biedenkopf habe ihm empfohlen, mich einmal anzuschauen, war die überraschende Antwort. Biedenkopf hatte inzwischen etwas geleistet, was für die mitteldeutsche Medienlandschaft gar nicht hoch genug einzuschätzen war. Er hatte seine Kollegen in Thüringen und Sachsen-Anhalt, Josef Ducha č und Gerd Gies, davon überzeugt, dass es sinnvoll wäre, zusammen mit Sachsen eine gemeinsame öffentlich-rechtliche Dreiländeranstalt zu gründen und so eine medienpolitische Kleinstaaterei zu vermeiden. Der damalige Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt Karl Gerhold unterstützte ihn dabei. Gerhold war früher Referent des NDR-Intendanten Friedrich Wilhelm Räuker und entwarf nach dem Vorbild des NDR-Vertrags einen Staatsvertrag für den Mitteldeutschen Rundfunk. Diesen Staatsvertraghaben die drei Ministerpräsidenten am 31. Mai 1991 in Erfurt unterschrieben.
Historisch gesehen war dies die dritte MDR-Gründung. Den ersten MDR hatten Leipziger Geschäftsleute 1924 aus der Taufe gehoben. Nach dem Berliner Rundfunk
war er der zweite Sender in der deutschen Rundfunkgeschichte. Er nannte sich damals MIRAG (Mitteldeutsche Rundfunk AG), eine »Gesellschaft für
Unterhaltung und Belehrung« und versorgte ungefähr das Gebiet, das heute MDR-Sendegebiet ist. Die Studios (in Erfurt, Weimar, Dresden etc.) hießen
»Besprechungsstellen«. 1942 haben die Nationalsozialisten die MIRAG, die zuvor schon zum Reichssender Leipzig umbenannt worden war, aufgelöst und den
Rundfunk ganz in Berlin zentralisiert. Die zweite Neugründung als Mitteldeutsche Rundfunkgesellschaft gab es nach dem Krieg 1945. Ein Jahr später war
Sendestart. Wilhelm Pieck, der Vorsitzende der SED, hat damals eine Grußbotschaft geschickt:
»Der Rundfunk in den Händen des Volkes gehört zu den wichtigsten Institutionen zur Gewinnung aller ehrlichen, aufrechten Menschen für den friedlichen demokratischen Aufbau. Dem Mitteldeutschen Rundfunk fällt dabei die ehrenvolle Aufgabe zu, aus der Fülle des täglichen Geschehens in den volkseigenen Betrieben den Menschen zu zeigen, wie besser, wie qualifizierter, wie sorgfältiger im Interesse der Hebung des Lebensstandards unseres Volkes gearbeitet werden kann. Mit seiner Ausstrahlungsmöglichkeit nach Westen hat der MDR die Verpflichtung, ein aktiver Rufer im Kampf für die Einheit Deutschlands … zu sein.«
Das sah man später bekanntlich anders. 1952 wurden in der DDR die Länder aufgelöst. Auch die Landesprogramme mussten ihre Sendungen einstellen und wurden zu Bezirksstudios herabgestuft, die dem neu gegründeten StaatlichenRundfunkkomitee in Berlin unterstanden. So wurde der MDR zum zweiten Mal, diesmal von den Kommunisten, abgeschafft und einer Berliner Zentrale unterstellt.
Und jetzt also die dritte Neugründung. Kleine Fußnote: Den dritten MDR gibt es inzwischen schon länger als seine beiden Vorgänger zusammen. 1924 hieß der erste Intendant Dr. Erwin Jaeger. Jetzt, als man wieder einen suchte, war Kurt Biedenkopf mein heftiges Eintreten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor einigen Wochen am Chiemsee offenbar in Erinnerung geblieben.
Ich habe keine Bedenkzeit gebraucht. »Wenn man mich will, mach ich das«, sagte ich zu Herrn Goliasch, der mir daraufhin freudig die Hand drückte und in
seinen Ausschuss eilte. Unten im Auto sagte ich zu Wagner-Grey: »Weißt du, was ich werde? Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks.« Er sah mich besorgt an
und wollte wissen, ob es mir sonst gut gehe? Wenn ich diese Geschichte heute erzähle, stelle ich immer zwei Dinge richtig. Zum einen, dass es zwar
unglaublich klingt, aber tatsächlich genau so war. Zum andern, dass dies nicht die übliche Art ist, in der in Deutschland öffentlich-rechtliche
Medienpolitik gemacht wird. Es waren extreme Zeiten damals, man kann sie nicht mit normalen Maßstäben messen. Das gilt auch für die Zeit, die nun vor mir
lag.
Zunächst: Man wird natürlich nicht Intendant, weil ein Herr Goliasch einen vorschlägt. Die drei Länder hatten einen MDR-Gründungsbeirat ins Leben gerufen. Jedes Landesparlament entsandte drei Vertreter in
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