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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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und so hatte ich sie auch in Erinnerung. Aber nun passierte folgendes: Zur Vorbereitung auf dieses Buch habe ich bei ebendiesem Rolf Markner, der bei Mühlfenzl für das Geld und die Auszahlungen zuständig war, nochmals nachgefragt, ob die ersten finanziellen Schritte des MDR tatsächlich genau so verlaufen sind. Von Herrn Markner bekam ich dann einen Brief, der mich staunen ließ. Er hatte sich die damaligen Kontokorrentauszüge der Leipziger Commerzbank-Filiale besorgt und Folgendes herausgefunden: »Zu meiner Überraschung ist den Bankauszügen zu entnehmen, dass es sich beim ersten Zahlungseingang nicht um eine Million DM, sondern um zehn Millionen DM handelte! Nun frage ich mich, warum ich mich nicht mehr daran erinnert habe … Offenbar ist mir mein Bemühen, die Finanzlage des MDR nur ja nicht zu rosig erscheinen zu lassen, im Lauf der Jahre so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich nun schon selbst daran geglaubt habe, wir seien anfangs knapp bei Kasse gewesen.«
    Also zehn Millionen Startkapital statt einer. Kein Wunder, dass wir bald als reicher Sender galten.
    Neben diesen dienstlichen Aufgaben hatte ich ein paar persönliche Probleme. Die Wohnungssuche war damals für alle neuen Mitarbeiter schwierig, für mich ganz besonders. Es gab keine offiziellen behindertengerechten Wohnungen in Leipzig. Was ich mir ansah, hatte entweder Stufen vor dem Eingang, oder die Zimmertüren waren zu eng oder die Toilette zu klein. Schließlich bot mir ein Musiker aus dem Symphonieorchester, der von meiner Notlage gehört hatte, seine Einraumwohnung im siebten Stock eines Hochhauses in der Straße des 18. Oktober an, und zwar voll möbliert. Wenn ich ihm 100 Mark Miete bezahlte, würde er zu seiner Freundin einen Stock tiefer ziehen. Ich war froh über diese Lösung und kam so zu meiner ersten Adresse in Leipzig. Dass mein Vermieter Pornobilder seiner Freundin im Nachtkästchen liegen ließ, fand ich sehr nett. Aber es war wohl nur eine Nachlässigkeit und kein Willkommensgruß für den neuen Chef. Der 18. Oktober erinnerte im Übrigen nicht, wie ich vermutet hatte, an die russische Oktoberrevolution oder sonst einen kommunistischen Ehrentag, sondern an die Leipziger Völkerschlacht. Die Anschrift war also auch ideologisch einwandfrei.
    Der Nachteil war, dass in dem »Zwölfgeschosser«, einem Plattenbau aus den sechziger Jahren, hin und wieder derLift ausfiel. Ich erinnere mich, dass
     ich einmal abends kurz vor Mitternacht nach Hause kam und verzweifelt auf sämtliche Knöpfe drückte. Zum Glück war Herr Pinkert, mein neuer Fahrer, noch
     nicht weg und konnte mich in ein Hotel bringen. Überhaupt, Herr Pinkert! Es gehörte zu den besten Taten von Frau Czech, ihn gefunden zu haben. Er blieb
     zwanzig Jahre an meiner Seite, unauffällig, zuverlässig, fürsorglich. Einmal hat er mich in Leipzig zum Flughafen gebracht. Ich bin nach Köln geflogen,
     hatte aber meine Reisetasche im Auto vergessen. Das war weiter nicht schlimm, ich besorgte mir im Hotel die notwendigsten Utensilien. Als ich abends schon
     im Bett lag, klingelte das Telefon. Rezeption. Ein Herr wolle mich sprechen. Es war Herr Pinkert. Er hatte die Tasche im Auto entdeckt, und weil er nicht
     sicher war, ob sie nicht möglicherweise etwas Wichtiges enthielt, war er mir von Leipzig nach Köln nachgefahren. Inzwischen hat er mich ungefähr zweimal
     zum Mond und zurück chauffiert. Mit ihm habe ich in diesen zwei Jahrzehnten die meiste Zeit meines Lebens verbracht. Unser erstes Auto war allerdings ein
     Problem. Der BMW, den ich aus lokalpatriotischen Gründen in der neuen Niederlassung in Leipzig bei der schönen Frau Willisch bestellt hatte, ließ auf sich warten. Als ersten Dienstwagen bekam ich zwischenzeitlich einen Trabant Kombi. Der hatte immerhin Platz für den Rollstuhl. Als wir ein paar Monate später zum ersten Mal zu einer ARD-Sitzung nach Hamburg fuhren, wollte ich den Trabi nehmen, aber Herr Pinkert weigerte sich standhaft. Wir sind dann standesgemäß mit dem neuen dunkelblauen BMW gefahren, der inzwischen eingetroffen war, und haben auf diese Weise »West-Niveau« demonstriert.
    Unser Auto hatte ein Handgerät, so dass ich gelegentlich auch selbst fahren konnte, allerdings nicht immer vorbildlich. Wegen Drängeln auf der Autobahn musste ich sogar einmal für einen Monat den Führerschein abgeben. Das wäre ja weiter nicht schlimm gewesen, aber in meinem Fall war es natürlich ein Thema. »Der wilde Reiter. MDR-Chef als Verkehrsrowdy

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