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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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Nerv.
    Für mich waren solche Beobachtungen ein weiterer Grund, strikt darauf zu achten, dass sich beim MDR auch nicht der Hauch einer Besatzermentalität
     breitmachen konnte. Ich habe meinen Leuten eingebläut, dass wir hier Gäste sind und nicht Sieger und dass wir zuhören und nicht alles besser wissen
     wollen. Ich denke, damit habe ich mich einigermaßen durchgesetzt, und es war mit ein Grund dafür, dass der MDR von den Zuschauern schon bald als »ihr« Sender empfunden und entsprechend genutzt wurde. Die einzige Kolonialherren-Attitüde, die ich durchgehen ließ, war die Anordnung des Verwaltungsdirektors, dass seine Bürodamen keine Dederon-Kittelschürzen mehr tragen durften. Das waren diese typischen Nylon-Ersatz-Produkte der DDR (DeDeRon). Ich glaube, über dieses Verbot waren unsere Mitarbeiterinnen nach einiger Zeit selber froh.
    Noch im Juli hatte ich die ersten drei Direktoren gefunden, die bereit waren, das »Cowboy-go-east« zu riskieren. Damit wir sofort mit der Arbeit beginnen konnten, bat ich zu ihrer Bestätigung um eine zeitnahe Sitzung des Rundfunkbeirats. Das ging aber nicht. Juli sei Urlaubszeit, vor Mitte August sei an keinen Termin zu denken. Die nächste Sitzung wurde schließlich für den 19. August festgelegt. Diese Verzögerung war nicht nur wegen des extremen Zeitdrucks ungünstig, sie lud auch alle Interessenten dazu ein, die Zeit für die üblichen politischen Spielchen zu nutzen. Die Lobbyisten waren zwar im Osten noch weit weniger geübt als in der alten Bundesrepublik, aber ein paar Aktivisten waren auch hier schon am Werk. Um die Direktorenriege durchzubringen, musste ich meine Vorschläge durch ein Minimum an politischer Ausgewogenheit marschierfähig machen. Das hat nach einigen Manövern schlussendlich geklappt. Ich bin selbst nie in einer Partei gewesen und habe den Politikern immer zu vermitteln versucht, dass ihnen Parteisoldaten im Sender wenig bringen. Ein Journalist, der sauber und unparteiisch seine Arbeit macht, ist letztlich für alle Beteiligten die bessere Lösung. Das hat man mir aber nur zum Teil geglaubt. Wie auch immer, am 19. August hatte der MDR seine Direktoren. Gut vier Monate vor dem geplanten Sendebeginn konnte die Arbeit beginnen.
    Wir versuchten verzweifelt, Leute zu gewinnen. Erst einige für die Leitungspositionen, dann viele für die Arbeitsebene. Allzu viel hatten wir nicht zu bieten. Die Arbeitsplätze waren Provisorien in Containern oder Notunterkünften, die Arbeitszeiten gingen fast rund um die Uhr, und der Freizeitwert der ostdeutschen Städte hielt sich damals in Grenzen. So lief die Anwerbung neuer Mitarbeiter häufig genug nach demselben Schema ab: Ich hatte einenKollegen mit dem Hinweis auf die einmalige Chance, einen Sender von Grund auf mit aufbauen und gleichzeitig eine weltpolitische Sternstunde an vorderster Front mitgestalten zu können, nach Leipzig gelockt. Nach einiger Zeit hatte er sich von unserem Pioniergeist anstecken lassen und erwartete zum Wochenende erstmals seine Frau zu Besuch. Sein Gesicht, wenn er am Montagmorgen zu mir ins Büro kam, sagte mir alles. Die Gattin wollte doch lieber in Düsseldorf bleiben.
    Trotzdem ging es voran. Am 1. Oktober hatten wir immerhin schon vierzig Arbeitsverträge abgeschlossen. Reinhard Krug hatte die Leitung der Intendanz übernommen. Er hatte vorher beim DDR-Fernsehen Ähnliches gemacht und kannte Land und Leute. Auch ihn hatte mir Rudolf Mühlfenzl empfohlen. In den kommenden zwanzig Jahren wurde er mein engster Mitarbeiter, loyal, umsichtig, tüchtig, ein Mann, auf den in jeder Situation Verlass war. Mitte Dezember hatte ich ihn und einige andere meiner engsten Mitarbeiter zu einer kleinen Adventsfeier in mein Büro gebeten. Der Begriff engste Mitarbeiter bekam hier eine besondere Bedeutung. Das Büro hatte die Größe eines mittleren Badezimmers. Wenn drei Leute im Zimmer waren, war es gut gefüllt. Ich bat Frau Köhler, meine Sekretärin, einen ordentlichen Punsch zu machen, um ein wenig Stimmung in die Bude zu bringen. Wir hatten kaum zu trinken angefangen, da kam ein Anruf vom Pförtner. Bei ihm seien vier Herren aus Dresden, die dringend den Intendanten sprechen müssten. Es waren der Fernsehdirektor, der Chefredakteur und zwei ihrer Mitarbeiter. Steinerne Mienen. Auf meine besorgte Frage, was denn los sei, erklärten sie mir, dass es aussichtslos sei, am 1. Januar mit dem Senden beginnen zu wollen. Die Regie werde nicht fertig, und wichtige Leute seien wieder zurück in den Westen

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