Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
dass sie mit dreißig Jahren Schlottergelenke haben und aufhören müssen, arbeiteten sie hart wie kaum eine andere Berufsgruppeund schafften durch zahlreiche Gastauftritte am Ende des Jahres meist eine schwarze Null. Ich habe immer die Hand über sie gehalten, auch als sie im Oktober 2011 wegen eines Auftritts in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens, in die Kritik gerieten. Sie waren neben einigen Showgrößen (Hilary Swank, Seal, Vanessa Mae, Kevin Costner und Jean-Claude Van Damme) für die Eröffnung eines Neubaukomplexes engagiert worden, in Wirklichkeit ging es aber um eine Geburtstagfeier für den tschetschenischen Machthabers Kadyrow. Ob dieser Auftritt eine Rolle gespielt hat, weiß ich nicht, jedenfalls hat der MDR die Truppe kurz nach meiner Pensionierung im November 2011 verkauft, zwei Monate vor dem fünfzigsten Ballett-Geburtstag.
Im MDR-Staatsvertrag war festgelegt, wie der Sender einmal aussehen sollte. Die Zentrale in Leipzig. In jeder Landeshauptstadt, also in Dresden, Magdeburg und Erfurt, ein Landesfunkhaus. Die noch zu gründende Werbetochtergesellschaft ebenfalls nach Erfurt und ein Zentralbereich, wegen der regionalen Ausgewogenheit, nach Halle. Wir haben dafür den Hörfunk ausgesucht, der seither aus Halle sendet. Ich ließ rechnen, was ein solches Bauprogramm kosten würde. Wie man es auch drehte, es kam eine Summe von rund 1,2 Milliarden DM heraus. Rundfunkneubauten, so lernte ich damals, sind neben Kliniken die teuersten Bauprojekte überhaupt. Aus der sogenannten Anschubfinanzierung, die durch einen Aufschlag von einer Mark pro Rundfunkteilnehmer in Deutschland zustande gekommen war, standen dem MDR rund 560 Millionen zu. Das war ziemlich genau die Hälfte dessen, was wir brauchten. Ich erinnere mich noch gut an die ratlosen Gesichter, als diese Zahlen in der Direktorensitzung auf den Tisch kamen. Was tun? Schulden machen, wie einige meinten?Das konnte es doch nicht sein, das wäre ein miserabler Neubeginn gewesen. Unser neuer Verwaltungsdirektor, der schon erwähnte Rolf Markner, meinte dann, dass derzeit die Börse gute Erträge abwerfe und man die Finanzmittel, die nicht gleich benötigt würden, dort gewinnbringend anlegen könne. Das hat mir eingeleuchtet. Ich gab Herrn Markner den Auftrag, so zu verfahren. Und das tat er, und wie! Innerhalb von acht Jahren, von 1992 bis 1999, hatte er die Anschubfinanzierung mehr als verdoppelt! Wir konnten den MDR schuldenfrei aufbauen und hatten noch einen Überschuss in der Kasse, den wir ins Programm stecken konnten. Bei jeder Bank hätte Markner einen fetten Bonus bekommen, bei uns hätte er zumindest irgendeinen Verdienstorden kriegen müssen. Aber wie sagte mein alter BR-Kollege Wolf Feller immer? Die Welt ist ungerecht.
Schuld war die berühmt-berüchtigte Ecuador-Anleihe. Sie brachte Herrn Markner um den Orden und uns völlig zu Unrecht erstmals in den Ruf
eines Affärensenders. Was war geschehen? Die Dresdner Bank hatte uns eine ecuadorianische Staatsanleihe empfohlen, die von einem internationalen
Konsortium renommierter Banken aufgelegt worden war, und zwar in DM, nicht in ecuadorianischen Sucre. Diese Anleihe ist im
September 1999 nach der Staatspleite von Ecuador geplatzt und führte zu einem Totalverlust in Höhe von 2,55 Mio. DM. Im selben
Jahr machten wir mit anderen Anlagen einen Gewinn von 78,99 Mio. DM! Die Ecuador-Verluste waren also wirklich Peanuts. Aber jetzt ging es los. Die
Pressekollegen fielen über uns her, wie ich es noch nie erlebt hatte. Der wirkliche Sachverhalt spielte keine Rolle. Der eine schrieb, wir hätten »mit dem
Geld der Gebührenzahler in Ecu spekuliert«, obwohl die Anleihe in DM war, der andere war geographisch nicht ganz auf der Höhe und berichtete von einer
»Äquator-Anleihe«, der dritte verfasste einen Artikel über mich mit dem zugegebenermaßen schönen Titel »Der Chef der Zockerbude«, und so gut wie keiner
berichtete, dass den 2,5 Millionen Verlust 79 Millionen DM Gewinn gegenüberstanden, und wenn es erwähnt wurde, dann nur ganz klein im letzten Absatz. Dass
wir später ein paar Gegendarstellungen durchsetzen konnten, hat uns auch nichts mehr geholfen. Markner machte damals den Fehler, dass er mit seiner
exzellenten Gesamtbilanz nicht sofort offensiv an die Öffentlichkeit ging und den Verwaltungsrat über alle Zahlen informierte. So geriet die Journaille
immer mehr in Jagdstimmung. Aber den entscheidenden Fehler, für den ich mich heute noch schäme, machte ich.
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