Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Sattel hatten (Mongolen reiten seit Dschingis Khan ohne), geriet ich in eine hoffnungslose Schieflage. Ich habe eindringlich erklärt, dass es mir nichts ausmache, das Talder Geier nicht von innen zu sehen, und dass ich gern auf die Rückkehr der übrigen Reisegesellschaft warten würde. Da hatte ich aber den Ehrgeiz unserer Gastgeber unterschätzt. Sie holten tatsächlich ein Motorrad von dem begleitenden Lastwagen und beteuerten mir, dass ich zwischen dem Fahrer und einem zusätzlichen Beifahrer absolut sicher sei, ein mongolisches Sandwich sozusagen. Ich wollte kein Spielverderber sein und muss zugeben, dass zumindest die Fotos, die damals gemacht wurden, relativ zivil aussehen. Eingeklemmt zwischen zwei Mongolen, fuhr ich also ins Tal der Geier. Über Schotter, durch einen Flusslauf, zwischen Felsbrocken. Mein einziger Gedanke war, dass der motorradfahrende Dschingis Khan um Gottes Willen nicht stürzen möge. Den Unfall hätte ich nur schwer erklären können.
Mein Kollege beim mongolischen Fernsehen hieß Beligt. In seinem Sender nannte man ihn nicht sehr liebevoll »Beligt, den Schläger«. Auf unsere Frage, wie es denn zu diesem Namen gekommen sei, stellte sich heraus, dass Kollege Beligt tatsächlich mit einem Stock durch seine Redaktionen zu gehen pflegte und Mitarbeitern, mit deren Arbeit er nicht zufrieden war, auf den Rücken schlug. Ich wollte mit dieser Geschichte in Leipzig meinen Personalrat erheitern, aber ich erntete nur säuerliche Blicke. Inzwischen ist Kollege Beligt zum Chef des mongolischen Geheimdienstes befördert worden, eine Karriere, die man sich in unseren Breiten auch nur schwer vorstellen könnte.
Eine hübsche Geschichte habe ich 1987 in Gran Canaria erlebt. Altkanzler Helmut Schmidt, mit dem ich schon seit Jahren einmal ein längeres Radiogespräch führen wollte, an den ich aber wegen seiner bekannten Journalistenverachtung nie herangekommen war, verbrachte den Sommer auf der Finca von Justus Frantz, um an einem Buch zu schreiben. Justus versprach mir, dass er ihn zu einem Interviewbewegen würde. Das war mir jede Mühe wert. Ich bin damals von München aus allein, mit Umsteigen in Barcelona, nach Las Palmas geflogen. Zum Glück kannte ich die spanischen Vorschriften für den Transport Behinderter nicht. Es war dort nämlich nicht erlaubt, Rollstuhlfahrer ohne Begleitperson in einem Flugzeug mitzunehmen. Nun stand ich aber schon auf dem Flughafen in Barcelona. Mitnehmen durfte man mich nicht, aber Stehenlassen war auf die Dauer ja auch keine Lösung. Nach längeren Diskussionen hat sich ein Steward bereit erklärt, sich als Begleitperson für mich in die Papiere eintragen zu lassen. Mein Flug war gerettet. Am nächsten Abend lud Justus zu einem Essen ein. Mehrere Gäste waren da, auch Helmut Schmidt. Ich war sehr gespannt, was er sagen würde. Er sagte – nichts. Stocherte in seinem Essen, knurrte gelegentlich etwas und erklärte nach dem Hauptgang, dass er nun weiterschreiben wolle, stand auf und ging. Etwas überrascht sagte ich zu Alexandra von Rehlingen, der damaligen Frau von Justus: »Der ist aber mürrisch.« »Ach, was«, sagte sie, »heute war er doch richtig nett!« Mich hat er am nächsten Tag sehr freundlich behandelt (wegen des Rollstuhls?) und geduldig alle Fragen beantwortet. Es wurde ein spannendes einstündiges Interview über die Weltlage, den Nato-Doppelbeschluss, die Rolle der Sowjetunion und die Zukunft Europas. Am Beginn unseres Gesprächs habe ich ihn gefragt, ob ihm der Abschied von der Macht, der nun fünf Jahre zurücklag, schwergefallen sei. Seine Antwort:
»Ich hab es meistens in meinem Leben als angenehm empfunden, Pflichten zu erfüllen … Es war eine Freude, die Pflichten eines Hamburger Senators oder eines Fraktionsvorsitzenden oder eines Bundesministers zu erfüllen. Das Erlebnis der Macht hat dabei kaum irgendeine Rolle gespielt. Ich mache mir den Vorwurf, dass ich zu spät ausgeschieden bin. Ich war gesundheitlich nicht mehr sehrsehr gut dran. Diese öffentlichen Ämter sind gesundheitlich zerstörerisch. Da muss einer schon die Konstitution von Konrad Adenauer haben, um das unbeschädigt zu überstehen. Die hatte ich nicht, ich bin mehrfach ernsthaft krank gewesen. Nein, ich bin sehr gern ausgeschieden, habe ein völlig neues Leben angefangen und fühle mich darin sehr wohl.«
Ich hab dann nochmals nachgefragt, ob nach einer so glanzvollen politischen Karriere nicht alles, was man hinterher tut, zwangsläufig ein wenig belanglos und
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