Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Als die Sache immer weiter hochkochte und auch
die Gremien zunehmend unruhig wurden, rief ich meine engsten Mitarbeiter zu einem Krisengipfel zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Damals
waren wir uns alle einig, dass wir den MDR nur durch ein Bauernopfer wieder aus den Schlagzeilen bringen konnten. Der Bauer konnte nach Lage der Dinge nur der Verwaltungsdirektor sein, und da Rolf Markner ohnehin Ende des Jahres in Pension gehen würde, kam uns das vertretbar vor. Und so haben wir es dann auch gemacht. Ich habe es Markner am Telefon mitgeteilt und schon damals kein gutes Gefühl dabei gehabt. Ich hätte das unter allen Umständen verhindern müssen. Das war eine opportunistische Fehlentscheidung. Ich weiß heute, wie sehr sich Markner in seiner Ehre gekränkt und von mir im Stich gelassen fühlte, und bin froh, dass wir die Angelegenheit inzwischen von Mann zu Mann geklärt haben. Das Etikett des »Affärensenders«, das man uns damals aufgeklebt hatte, haben wir trotz des Bauernopfers behalten. Dazu später noch ein paar Sätze.
Das mongolische Sandwich - vom Reisen im Rollstuhl
Ein Intendantenleben ist mit Reisen verbunden, auch wenn der Intendant im Rollstuhl sitzt. Zu den ARD-Sitzungen innerhalb Deutschlands
sowieso, aber mitunter auch ins Ausland. Ich hatte dem MDR nach seiner Gründung drei Ziele verordnet. Zum einen sollte er der
Sender der Menschen in Mitteldeutschland sein, ihre Befindlichkeiten aufnehmen, ihre Probleme behandeln, ihr Leben widerspiegeln. Zum Zweiten sollte er
den westlichen Bundesländern einen Eindruck von den Sorgen, den Chancen und den Schönheiten im Osten Deutschlands vermitteln. Und zum Dritten wollten wir
die Beziehungen, die es aus DDR-Zeiten in die Sowjetunion und nach Osteuropa gab, aufrechterhalten und den demokratischen Aufbruch in diesen Ländern begleiten. Auch das hieß für mich Reisen, zumindest hin und wieder. Dabei habe ich meistens mehr erlebt als ein normaler Fußgänger.
Mein erster Flug nach Moskau zum Beispiel geschah noch zu Sowjetzeiten. Ich flog aus irgendeinem Grund von Frankfurt aus mit Aeroflot und wurde auf dem Frankfurter Flughafen wie üblich auf einen extra schmalen Spezialrollstuhl umgesetzt und von dem in Deutschland überall vorzüglich organisierten Hilfsdienst zu meinem Platz im Flugzeug gebracht. Das geht bei uns so routiniert, dass man sich nichts mehr dabei denkt. Etwas anders sah es dann in Moskau aus. Die übrigen Fluggäste waren ausgestiegen, und ich wartete darauf, dass man mich auch aus dem Flieger holen würde. Im Flughafen wollte mich dann unser Moskau-Korrespondent abholen. So lief es aber nicht. Stattdessen stellten sich zwei uniformierte Russen vor meinem Sitz auf und bedeuteten mir mit unmissverständlichenHandbewegungen, dass ich aufstehen und das Flugzeug verlassen sollte. Als ich den Kopf schüttelte, wurden sie energischer. Ich versuchte, ihnen die Lage zu erklären, erst auf Deutsch, dann auf Englisch. Keine Chance. Sie wurden immer unfreundlicher. Erst später wurde mir klar, dass sie hinter meiner Weigerung aufzustehen, einen politisch motivierten Sitzstreik vermuteten. Sie holten Verstärkung. Schließlich standen fünf oder sechs laut gestikulierende Kerle um mich herum. Der erste griff mich schon am Jackett, als Gott sei Dank ein Aeroflot-Angestellter dazukam, der ein paar Brocken Deutsch konnte. Er erklärte den anderen, dass ich nicht laufen könnte und mit meinem Sitzenbleiben keine antisowjetische Aktion verbunden wäre. Die ganze Spannung löste sich jetzt in großem Gelächter auf. Statt mich aus dem Sitz zu zerren, wurde mir freundschaftlich auf die Schulter geklopft.
Es gibt auch weniger martialische Erlebnisse. In Havanna hat mich einmal ein baumlanger Schwarzer wie ein Kleinkind auf den Arm genommen und übers Flugfeld zu meinem dort abgestellten Rollstuhl getragen. In der Wüste Gobi wollten mir unsere mongolischen Gastgeber unbedingt das Tal der Geier zeigen. Dieses sicher hochinteressante Tal hatte den Nachteil, dass es wegen der Enge und der schlechten Bodenverhältnisse auch für einen Jeep nicht befahrbar war. Kleine mongolische Pferde, so wurde mir bedeutet, seien dort das ideale Fortbewegungsmittel. Ich ließ mich unter der launigen Anteilnahme der deutschen und mongolischen Kollegen auf ein solches Tier heben und versuchte mich dort irgendwie festzuhalten. Herr Krug stützte mich von der Seite, aber nach zwanzig Metern ging es beim besten Willen nicht mehr. Da die Pferde keinen
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