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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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unbedeutend sei – und erhielt folgende Antwort:
    »Nein, nein, nein, dem muss ich widersprechen. Schauen Sie, wir sitzen hier am Kamin meines Freundes Justus Frantz auf Gran Canaria. Ich bin hier fünf Wochen, um in Ruhe zu arbeiten – wann jemals hätte ein Bundeskanzler sich so etwas leisten können? Oder die Tatsache, dass ich in den letzten Jahren zusammen mit meiner Frau viele Konzerte besucht habe. Dafür war früher nie Zeit. Nein, das ist nicht der Abschied von einem besonders attraktiven Leben. Leider Gottes gibt’s dann immer nochmal Rückbezüge auf die Politik. Da kommen Leute und stellen politische Fragen, so wie Sie, und ich versuche das dann immer abzuwehren.« Zum Glück hat er meine Fragen nicht abgewehrt, sondern, wie mir schien, sogar mit einer gewissen Lust beantwortet. Ein eindrucksvoller Mann, eine schöne Reise.
    Weniger gut ging es mir einige Jahr später in Cannes. Als Filmintendant der ARD sollte ich dort bei den Filmfestspielen einige Termine wahrnehmen. Das Zimmer, das man mir reserviert hatte, war schön – aber die Klotür war für meinen Rollstuhl zu schmal. Kein Durchkommen. Ein anderes Zimmer war nicht zu kriegen, während der Festspiele ist Cannes komplett ausgebucht. Das sind Momente, in denen man lieber Fußgänger wäre. Ich hab mich vonHerrn Krug, der mich begleitet hat und gut kannte, aufs Klo tragen lassen.
    Also: Reisen ist für Rollstuhlfahrer nie so problemlos wie für Fußgänger. Von den Fahrgelegenheiten über die Unterkünfte bis zu den Sanitäranlagen ist alles Mögliche zu bedenken. Aber im Gegensatz zu den Anfängen meiner Rollstuhlkarriere vor rund fünfundvierzig Jahren leben wir heute im Wheelchair-Schlaraffenland. Verkehrsmittel, Sehenswürdigkeiten, Unterkünfte – fast alles ist mittlerweile rollstuhlgerecht. Keine Autobahnraststätte ohne Behindertentoilette. Früher gab es nichts dergleichen. Jeder Ausflug war ein Abenteuerurlaub mit ungewissem Ausgang. In New York zum Beispiel haben heute alle Busse eingebaute Hebebühnen. Wenn der Busdriver einen Rollstuhlfahrer an der Haltestelle sieht, stoppt er in seiner Nähe, fährt die Bühne herunter, holt ihn hoch und bringt ihn zu einem eigens gekennzeichneten Platz im Bus, von dem aus man einen extrem guten und sicheren Blick auf die New Yorker Straßen hat. Das ist, kleiner Tipp, viel kostengünstiger und komfortabler als Taxifahren. Ich habe auf diese Weise schöne Stadtrundfahrten gemacht.
    Unsere Gesellschaft ist, mit Verlaub, ziemlich behindertenfreundlich, und ich finde es nicht verkehrt, denen, die das zustande gebracht haben, in den Betrieben, in den Sozialeinrichtungen, in den Reiseunternehmen, in den Medien und vor allem in der Politik, dafür auch einmal zu danken. Die häufig zu beobachtende missgelaunte Forderungsmentalität vieler Behinderter und ihrer Verbände scheint mir nicht gerechtfertigt. Ein Rollstuhlfahrer ist heute gesellschaftlich akzeptiert. Er wird in Züge und Flugzeuge gehoben und kann ohne Widerstände Finanzminister oder Intendant werden. Ein Nichtbehinderter kann sich kaum erlauben, so etwas auszusprechen. Aber ich kann es und will es auch einmal getan haben.
    Natürlich spielt die finanzielle Situation eines Gelähmten bei der Bewältigung seines Schicksals eine wichtige Rolle. Wenn schon gelähmt, dann bitte als Milliardär, könnte man aus dem Film »Ziemlich beste Freunde« nicht ganz zu Unrecht folgern. Ich kenne beide Seiten. Heute geht es mir gut, und ich kann mir Dinge leisten, die andere Rollstuhlfahrer nicht haben und die mir das Leben sehr viel angenehmer und leichter machen. (Bei Nichtbehinderten gibt es diese Unterschiede übrigens auch.) Am Anfang meiner Rollstuhlkarriere sah das anders aus. Als mittelloser Student war ich auf Unterstützung angewiesen, durch Dr. Schäfer, der mir das Auto schenkte, durch meine Eltern, durch meine Frau, durch das Wohnungs- und das Sozialamt, durch die Krankenkasse. Ich habe diese Unterstützung auch als Nobody ziemlich großzügig bekommen und kann in die üblichen Anklagen gegen restriktive Kassen und Behörden nicht einstimmen. In der Regel vergisst man uns nicht. Ich erinnere mich zum Beispiel an ein Konzert in der Berliner Waldbühne mit Placido Domingo, Anna Netrebko und Rolando Villazón. Für Rollstuhlfahrer gibt es in der Waldbühne eine eigene, gut zugängliche Loge, zwar etwas weit weg von der Bühne, aber dafür zum Nulltarif. Jeder kommt rein. Die Stimmung dort war unter all den Mühseligen und Beladenen und ihren

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