Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
dass man in meiner Lage etwas behutsamer mit seiner Gesundheit umgehen sollte. Beispielsweise seien meine Knochen wie bei allen Rollstuhlfahrern durch die fehlende Belastung stark entkalkt und würden bei einem entsprechenden Druck – bei mir war das der Sturz in Rom – brechen wie Salzstangen. Und auch sonst gäbe es Anlass, die Verbesserungen, die Ludwig Guttmann für die Überlebenschancen der Querschnittgelähmten erreicht habe, nicht maßlos auszureizen. Ob ich regelmäßig Gymnastik mache? Meine Beine durchbewegen lasse? Mich vernünftig ernähre? Ruhezeiten einhalte? Ich konnte auf keine dieser Fragen guten Gewissens mit Ja antworten und kam damals etwas ins Grübeln, was meine Lebensführung anging. Lange gehalten hat die Besinnung allerdings nicht.
Zurück in Leipzig, hatten unsere römischen Aktivitäten noch ein theologisches Nachspiel. Ein paar protestantische Rundfunkräte und Kirchenbevollmächtigte haben mich besucht und mich vor einer »Vatikanisierung des MDR« gewarnt. Unser Sendegebiet sei schließlich »Luther-Land«. Diese Befürchtungen können sie mittlerweile ad acta legen. Heute spielt das Leipziger Gewandhausorchester und nicht mehr das MDR-Symphonieorchester beim Papst.
Auch in der ARD gab es ein Nachspiel. Beim Bayerischen Rundfunk hatte man die Vorliebe des Heiligen Vaters für Mitteldeutschland naturgemäß nicht sehr gern gesehen. Man hatte nach unserem dritten Konzert das berechtigte Empfinden, dass nun der BR an der Reihe sei, zumal er über das mit Abstand renommierteste Orchester in der ARD verfügte und der neue Papst ein Bayer war. Manging also fest von einem bayerischen Gastspiel aus, als Peter Voß, dem Intendanten des SWR, ein Coup gelang. Er nutzte die landsmannschaftliche Nähe zu Monsignore Gänswein, dem neuen Privatsekretär des Papstes, und brachte es tatsächlich fertig, dass das SWR-Orchester das nächste Konzert in der Sala Nervi geben durfte. Mein Freund Thomas Gruber, der BR-Intendant, war darüber so wütend, dass er seinen Kirchenaustritt ankündigte. Erst ein handschriftlicher Brief von Benedikt XVI. mit der festen Zusage, jetzt sei definitiv das BR-Orchester dran, soll ihn davon abgebracht haben.
Und auch auf die Gefahr einer gewissen Papstlastigkeit noch eine kleine römische Geschichte: Im Sommer 2003 hatte Justus Frantz erreicht, dass er mit einigen Musikern seiner Philharmonie der Nationen und seinem Sohn am Klavier ein kleines Konzert in der päpstlichen Sommerresidenz in Castell Gandolfo geben durfte. Johannes Paul II. war damals schon schwer krank. Er wurde in einem Sessel hereingetragen und auf einem Podium, zu dem mehrere Stufen hochführten, abgestellt. Nach dem Konzert durften einige ausgesuchte Gäste an ihm vorbeidefilieren und ihm die Hand reichen. Justus hatte in alter Freundschaft dafür gesorgt, dass ich zu diesen Auserwählten gehörte. Ich reihte mich ein und bemerkte, als ich näher kam, die fünf oder sechs Stufen, die zum Papst hinaufführten und die für mich im Rollstuhl natürlich nicht zu bewältigen waren. Ich beschloss, einfach zu ihm hochzuwinken und mit diesem Gruß aus der Ferne zufrieden zu sein. Da hatte ich aber die Rechnung ohne die robusten päpstlichen Leibgardisten gemacht, die den Thron bewachten. Sie sahen mich, packten den Rollstuhl und hievten mich mit Schwung die Stufen hoch direkt vor den Heiligen Vater und die Fotografen, die um ihn herumstanden. Das machten sie mit so wenig pflegerischem Sachverstand, dass ich um ein Haar ausdem Rollstuhl geflogen wäre. In einem Reflex krallte ich mich an den Seitenteilen fest und verhinderte so, dass sie mich dem Papst auf den Schoß kippten. Erst anschließend wurde mir klar, was ich da verhindert hatte. Das Foto wäre wohl um die Welt gegangen.
Die Nacht von Magdeburg
Als wir unseren Sendebetrieb Anfang der neunziger Jahre aufnahmen, war Mitteldeutschland produktionstechnisch eine Wüste. Keine brauchbaren Studios, keine ausgebildeten Techniker, keine erfahrenen Produktionsfirmen. Dementsprechend gingen damals über 80 Prozent der MDR-Aufträge in die alte Bundesrepublik, vor allem nach München, Hamburg und Berlin. Es war eines unserer Ziele, das schnellstmöglich zu ändern. Wir wollten eine eigene Produktionslandschaft in unserem Sendegebiet. Die Aufträge sollten im Land bleiben, die damit verbundenen Arbeitsplätze hier entstehen. Mein damaliger Fernsehdirektor Henning Röhl riet mir, eine Tochterfirma zu gründen, die das in die Hand nehmen sollte. Dieser Plan war mir
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