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Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)

Titel: Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Reiter
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uns auf dieser Reise begleitete, hat hinterher erzählt, ich hätte zu Ratzinger gesagt: »Wenn Sie weiter für den MDR beten, bringen Sie es selbst noch bis ganz nach oben.« Ich kann mich, obwohl ich Ratzinger noch aus bayerischen Zeiten ganz gut kannte, an eine so vorlaute Bemerkung nicht erinnern.
    Bei dem ersten Konzert 1993 fiel mir eine ungewöhnlich schöne junge Geigerin auf, die ich später näher kennengelernt habe. Plácido Domingo, der bekanntlich nicht nur die Musik geliebt hat, hatte ihr nach einem Konzert eine rote Rose in den Geigenkasten gelegt. Sie hatte ein trauriges Schicksal. Mit nur fünfunddreißig Jahren starbsie an einer seltenen Blutvergiftung. Der Kulturchef des MDR-Hörfunks hat damals einen Nachruf auf sie verfasst und sie eine »anmutige junge Geigerin« genannt, »die zur Ausstrahlung des MDR Symphonieorchesters und seinem künstlerischen Profil in unverwechselbarer Weise beigetragen hat«. Ihr hat das Konzert in Rom kein Glück gebracht, aber ihr Name soll in diesem Buch einen Platz finden. In memoriam Bettina Poser.
    Auch Hans Schwemmers weiterer Lebensweg verlief nicht glücklich. Er wurde zwar nach neun Jahren als vatikanischer »Ressortleiter Deutschland« zum Titularerzbischof von Ravello befördert, einem malerischen Ort an der italienischen Amalfi-Küste. Ich war zusammen mit der schönen Geigerin bei der Weihe im Dom von Ravello und sagte hinterher zu ihm: »Hans, du bist mein Lieblingserzbischof.« Neben dem Titel bekam er auch eine neue Aufgabe. Er wurde päpstlicher Nuntius für, ja, für Papua-Neuguinea und die Salomon-Inseln. Dort saß er, weit weg vom Brunello, in Port Moresby, der Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate in der Welt. Er konnte sein Haus kaum verlassen, ohne einen Überfall zu riskieren. Bei einem Heimaturlaub habe ich ihn wiedergesehen. Er sah schlecht aus und war todunglücklich. Zurück in Port Moresby, bekam er im September 2001 einen Herzinfarkt. Man flog ihn in ein Krankenhaus nach Cairns in Australien. Bei der Ankunft war er tot. Mit nur sechsundfünfzig Jahren.
    Ein paar Jahre später hatte ich ein Erlebnis in Rom, das mich persönlich sehr nachdenklich gemacht hat. Ich war mit Kardinal Ratzinger wegen der Absprachen für das zweite Konzert verabredet und am Abend vorher mit einigen Mitarbeitern in einem Lokal, von dem eine abschüssige Straße hinunter zur Piazza della Rotonda führte. Gut gelaunt wollte ich den andern zeigen, dass ein Rollstuhlfahrerbergab schneller ist als jeder Fußgänger. Das ging auch gut, bis sich mein linkes Vorderrad in voller Fahrt zwischen zwei römischen Pflastersteinen verkeilte. Ich flog kopfüber auf den Weg und musste mich von Herrn Krug und einer Kollegin wieder in den Stuhl heben lassen. Dabei fiel mir auf, dass mein rechter Oberschenkel in einer ungewöhnlichen Weise nach außen stand. Als ich ihn wieder zurechtbog, machte er ein merkwürdig knirschendes Geräusch, das ich nicht so bald vergessen werde. Er war offensichtlich gebrochen. Jeder Fußgänger hätte vor Schmerz gebrüllt und nach ärztlicher Hilfe gerufen. Aber ein Querschnitt spürt den Schmerz nicht direkt und kann sich relativ leicht über das Warnsignal hinwegsetzen. Das tat ich. Da ich den Termin mit Kardinal Ratzinger auf keinen Fall absagen wollte, ließ ich mich ins Hotel bringen und versuchte ohne allzu große Richtungsänderung meines Oberschenkels ins Bett zu kommen. Am nächsten Morgen war er so dick geschwollen, dass ich kaum mehr die Hose darüber ziehen konnte. Spätestens da war mir klar, dass man hier auf keine Spontanheilung mehr hoffen konnte.
    Zunächst wollte ich aber noch in den Vatikan. Krug bestellte ein Taxi. Beim Einsteigen verlor ich die Kontrolle über den Oberschenkel. Ich war im Auto, das Bein stand im rechten Winkel zur Tür heraus. Als wir es zurechtrückten, gab es wieder dieses knirschende Geräusch. Das Gespräch mit Ratzinger war trotzdem erfolgreich. Sein Sekretär gab uns danach die Adresse eines nahe gelegenen Krankenhauses mit dem passenden Namen Santo Spirito. Die Ärzte dort waren fassungslos. Ob ich wahnsinnig sei, an dem Bruch führe eine Hauptschlagader vorbei, wenn die durch die Knochenränder aufgerissen werde, sei es vorbei. Ich sah das natürlich ein und fügte mich in alle Anordnungen. Sofortige Einweisung, Notoperation, Rückflug mitdem Roten Kreuz nach München und von dort zur weiteren Behandlung in das Querschnittzentrum nach Murnau. Der dortige Chef hat mir sehr nachdrücklich klargemacht,

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