Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
auch deswegen sympathisch, weil er sich mit einer Überlegung traf, die ich schon einige Zeit mit mir herumtrug.
Ich bin ein überzeugter Verfechter des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems. Er steht für die Idee einer freien Kommunikation in einer freien Gesellschaft. Die Inhalte, die für eine demokratische Meinungsbildung nötig sind, sollen weder von der Politik kontrolliert werden, wie bei einem Staatsrundfunk, noch von der Wirtschaft beeinflusst, wie bei einem ausschließlich werbefinanzierten Rundfunk, sondern sollen von einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk weitgehend unabhängig für jedermann zur Verfügung gestellt werden. Dafür wird eine Rundfunkgebührerhoben, die diese Unabhängigkeit ermöglicht. Vorbild für dieses System war die britische BBC. Nach ihrem Muster wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaut. Er wurde zu einem Pfeiler der Demokratie in Deutschland, hat im Lauf der Jahrzehnte aber auch bürokratisches Fett angesetzt. So hat mir nie recht eingeleuchtet, warum der gesamte Produktionsbetrieb öffentlich-rechtlich organisiert sein muss oder das Gebäudemanagement oder die Kantine oder der Fuhrpark? Die Redaktionen selbstverständlich, aber der Rest? Als mir Henning Röhl die Gründung einer Produktionstochter vorschlug, kam mir sofort die Idee, dass man in diese Tochterfirma eine Reihe von Aufgaben auslagern könnte, die bisher vom MDR selbst wahrgenommen wurden. Dieses Outsourcing müsste, so war meine Überlegung, zu größerer Flexibilität in der Mutterfirma und zu Einsparungen durch die privatwirtschaftliche Organisation führen. Wir gründeten also die Drefa Media GmbH. Henning Röhl und Peter Kocks, der MDR-Betriebsdirektor, wurden Geschäftsführer, ich Vorsitzender des Aufsichtsrats. Die Rechnung ging auf. Nach wenigen Jahren hatte sich die Drefa zu einem Konzern mit neunzehn Tochterfirmen entwickelt. Ein Teil waren einhundertprozentige MDR-Töchter, bei anderen hatten wir Partner ins Boot geholt, bei wieder anderen hatten wir uns beteiligt. Studio Hamburg, Leo Kirch, die Bavaria, die Kinowelt, die Telepool, sie alle kamen auf diese Weise nach Mitteldeutschland. Der »Spiegel« nannte die Drefa einmal ein »privates Schattenreich«. Aber sie schrieb schwarze Zahlen, sorgte dafür, dass der MDR eine »schlanke Anstalt« wurde und dass am Ende 80 Prozent unserer Aufträge in unserem Sendegebiet blieben. Dieses Outsourcing-Modell hat am Anfang zu heftigen ideologischen Diskussionen geführt. Inzwischen wurde es inunterschiedlicher Intensität fast von allen Sendern übernommen.
Noch eine andere Idee hat mich in den ersten MDR-Jahren umgetrieben. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht, so war meine feste Überzeugung, einen
eigenen Kinderkanal. Ich habe für diesen Gedanken geworben und unter den Intendanten schnell einige Gleichgesinnte gefunden. Als auch das ZDF zustimmte, war der Weg frei. Die Federführung sollte die ARD bekommen, fragte sich nur, welches Haus. Es lag nahe, dass einer der beiden neuen Ost-Sender zum Zug kommen sollte. Da gab es Nachholbedarf. Also wir oder der ORB. Ich habe Erfurt als Standort vorgeschlagen, weil Thüringen bisher bei der Verteilung von MDR-Ressourcen nicht allzu üppig weggekommen war. Kollege Rosenbauer hatte mit Potsdam/Babelsberg natürlich das attraktivere Angebot. Auf der ARD-Sitzung in Magdeburg sollte am 23. und 24. April 1996 die Entscheidung fallen. Albert Scharf vom Bayerischen Rundfunk war ARD-Vorsitzender. Er hatte damals auch die Neuordnung des ARD-Finanzausgleichs auf der Tagesordnung, ein extrem schwieriges Thema. Einige Häuser lehnten diesen Finanzausgleich, in dem die reicheren Sender ein paar ärmere unterstützen sollten, erstmals grundsätzlich ab, andere verlangten zumindest eine drastische Reduzierung ihrer Zahlungen, die Dritten waren nur bereit zu zahlen, wenn auch die Vierten weiterbezahlen würden – und die Fünften schließlich wollten deutlich mehr bekommen als bisher. Die Debatte zog sich hin, es fehlte ein zweistelliger Millionenbetrag. Dazu die ungelöste KIKA-Standortfrage. »Entweder der ORB bekommt den Kinderkanal, oder der MDR kauft ihn«, lästerte Hansjürgen Rosenbauer. Ein Scheitern der Verhandlungen lag in der Luft. Albert Scharf hat dann vor dem letzten Sitzungstag in der berühmten »Nacht von Magdeburg« die Fäden verknüpft und alle Fähigkeiten eingesetzt, die ein ARD-Vorsitzender braucht: Sachkunde und Flexibilität,
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