Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
wachsenden Angebotsmarkt mit eigenen unverwechselbaren Programmmarken behaupten und deutlich machen, dass öffentlich-rechtliche Programmqualität gerade in diesen Zeiten unverzichtbar ist, dass wir in der Flut der Angebote imstande sind, journalistische und künstlerische Leuchttürme zu setzen. Das war eine Überlebensfrage. Mein Kollege Markus Schächter vom ZDF hat es einmal sehr schön formuliert: »Wer nicht ins Netz geht, geht ins Museum.« Deshalb ist der Streit mit den Verlegern um das, was wir im Netz dürfen und was nicht, alles andere als ein Streit um des Kaisers Bart. Es ist ein Streit um unsere Zukunft. Die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat sich immer auf Inhalte bezogen, nie auf Verteilungswege. Solange es nur das Radio gab, haben wir die Inhalte über Radiowellen transportiert, als das Fernsehen dazu kam, über den Bildschirm, erst schwarz-weiß, dann in Farbe. Und wenn heute ein immer größerer Teil des Publikums seine Inhalte online bezieht, dann müssen wir sie eben auf diesem Weg anbieten, sonst kann man die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begraben.
Durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der im Oktober 2008 geschlossen wurde, hat uns die Politik diesen Weg im Prinzip ermöglicht. Auf Drängen der Verleger, die sich das Netz verständlicherweise als möglichst konkurrenzfreies Geschäftsfeld erhalten wollten, wurden allerdings beträchtliche Auflagen in den Staatsvertrag geschrieben. Dieses nicht und jenes nicht und das Dritte nur eingeschränkt und alles nur nach endlosen bürokratischen Vorprüfungen. Das war zwar besser als nichts, aber ein solches Geflecht von Auflagen widerspricht natürlich dem Grundcharakter des Internets. Das Netz ist von seinem Wesen her, formal und inhaltlich, ein Medium größtmöglicher Freiheit.Diese Freiheit mit kleinteiliger deutscher Regulierungswut eingrenzen zu wollen hat etwas Kurioses. Aber sei’s drum, wir werden das Beste daraus machen.
Wir haben in meiner dritten Amtszeit von Anfang an versucht, die Weichen in diese Richtung zu stellen und bei allen Entwicklungen mindestens so lange den Fuß in der Tür zu haben, bis klar war, welcher Variante die Zukunft gehört. Das bedeutete bei den Übertragungswegen einen Mix aus Kabel, Satellit und Terrestrik, aber auch Verbreitung über DSL und Angebote für den mobilen Empfang. Für die hausinternen Strukturen lag es nahe, die klassische Trennung in Hörfunk, Fernsehen und Internet zumindest aufzuweichen und auf eine sogenannte trimediale Arbeitsweise umzusteigen. Das heißt, die Inhalte werden von einer gemeinsamen Redaktion erstellt und dann auf die verschiedenen Ausspielwege verteilt. Der MDR war der erste Sender, der daraus die Konsequenzen gezogen und einen trimedialen Chefredakteur eingesetzt hat. Dieser Umbruch war für einen Rundfunkveteranen wie mich eine völlig neue Herausforderung.
Meine Begeisterung für die neue Zeit erhielt allerdings einen Dämpfer, wie ich ihn nie für möglich gehalten hätte. 2005 wurde ein Jahr des gesundheitlichen Grauens für mich. Bevor ich darüber berichte, habe ich noch eine kleine unanständige Geschichte: Die renovierten Schlachthofhallen sahen gut aus und ließen sich als »locations« für allerlei Auftritte nutzen. Vor allem während der Leipziger Buchmesse war die Nachfrage groß, und als mein Freund und Kollege Peter Voß, der einzige ARD-Intendant, der nicht nur heimlich dichtete, sondern seine Gedichte auch publizierte, eine Lesung in Leipzig vorhatte, war klar, dass sie bei uns auf dem MDR-Gelände stattfinden sollte. Wir wählten dafür eine der schönen Hallen, und zwar die, in der früher zu Schlachthofzeiten die sogenannten Überständer untergebracht waren, das waren die Tiere, die zu spät angeliefert wurden und ihren Schlachttermin verpasst hatten, die also »überständig« waren. Ich habe zu Beginn der Lesung die Gäste begrüßt, den dichtenden Intendanten Voß vorgestellt und auch ein paar Sätze zum Schlachthof und der Halle des Abends gesagt. Alles war harmonisch und auf hohem kulturellem Niveau, bis ich zur Erklärung der ehemaligen Hallenfunktion das Wort »Überständer« gebrauchte. Da ließ sich Peter Voß in der ersten Reihe mit einem Zwischenruf vernehmen, der ihm offensichtlich lauter geriet, als er sein sollte. »Ach ja«, rief er fröhlich, »davon träume ich schon lange.« Das schallende Gelächter seiner Zuhörer war ihm dann allerdings ein wenig peinlich.
Schwachstellen
In der rechten Schulter hatte
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