Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
Konjunktur. Man versuchte in der Wunde einen Unterdruck herzustellen, indem man dort luftdicht einen kleinen Saugnapf einklebte, der über einen Schlauch mit einer Pumpe verbunden war. Diese Pumpe erzeugte mit einem batteriebetriebenenElektromotor den angeblich heilsamen Unterdruck. Ich wollte nichts unversucht lassen und habe mir einen solchen Saugnapf einbauen lassen. Um das ganze Verfahren einigermaßen diskret handhaben zu können, habe ich den Motor in einem Pilotenkoffer untergebracht und so getan, als würde ich Akten darin transportieren. In den Koffer habe ich ein Loch gebohrt und den Schlauch durch das Loch in meine Hose geleitet. Weil das Ein- und Aussteigen ins Auto auf diese Weise ja nicht möglich war, hat Herr Pinkert einen Transporter besorgt und mich über eine bewegliche Rampe in meinem Rollstuhl auf die Ladefläche geschoben. So bin ich nicht nur ins Büro gefahren, sondern auch zu einer wichtigen Aufsichtsratssitzung der Bavaria nach München und zu einer ARD-Sitzung nach Bremen. Nach München waren wir mit dem langsamen Kleinlastwagen über fünf Stunden unterwegs, dann einige Stunden Sitzung, dann wieder fünf Stunden zurück. Die ärztliche Vorschrift war, nicht länger als vier Stunden sitzen am Stück. Das Ergebnis war entsprechend. Dazu kam, dass die Batterie der Pumpe nicht so lange hielt und mitten in der Sitzung durch lautes Piepen ihr bevorstehendes Ende ankündigte. Die anderen Aufsichtsräte schauten verblüfft auf meinen Aktenkoffer.
Das klingt lustig. In Wirklichkeit war es ein Elend. Ich fühlte mich miserabel und sah auch so aus. Ständig hatte ich leichtes Fieber, auch die
Schulter war ja noch nicht völlig verheilt. Aber die Regeln sind eisern. Dabei sein oder aufhören. Ich habe damals ernsthaft ans Aufhören gedacht. Trotz
Unterdrucks wollte und wollte sich die Wunde nicht schließen, was bei diesem Lebenswandel ja auch kein Wunder war. Zum Glück stand jetzt die Urlaubszeit
bevor, also etwas Luft und vor allem keine Sitzungen mehr. Ich wollte alles auf eine Karte setzen und ging nochmals ins Krankenhaus. Diesmal nach Hamburg
in das Querschnittzentrum des dortigen Unfallkrankenhauses. Wenn das auch nichts half, wollte ich nach der Sommerpause dem Verwaltungsrat meinen Rücktritt
erklären. Ich wurde in Hamburg am 11. Juli nochmals operiert, und zwar »zur Wiederherstellung belastbarer Weichteilverhältnisse am Gesäß«, wie es
vielversprechend in den Krankenakten hieß. Nach der Operation legte man mich drei Wochen auf ein Luftkissenbett. Man schwebt gewissermaßen über der
Matratze. Die kritische Stelle kommt in keinerlei direkten Kontakt zur Unterlage und kann ungestört heilen. Der Erfolg war eindrucksvoll. Am 3. August
wurde ich entlassen, der Spuk war vorbei, nach der Sommerpause trat ich nicht zurück, sondern war wieder der Alte.
»Der ewige Intendant«
Es lief wieder gut. Vor allem die Programme. Das MDR-Fernsehen war nun schon das achte Jahr hintereinander das erfolgreichste Dritte in der
ARD. Auch unsere Sendungen im Ersten liefen immer besser. Der Dienstag, an dem die MDR-Serien kamen (In aller Freundschaft, Tierärztin Dr. Merten, Um
Himmels Willen), wurde zum quotenstärksten Tag der ARD. Im Hörfunk schaltete jeder Zweite im Sendegebiet mindestens einmal am Tag ein MDR-Radioprogramm
ein, und die neuen Internet-Angebote verzeichneten von Monat zu Monat steigende Zugriffe. »Eine schlanke Anstalt macht sich breit«, titelte die
»Welt«. Der MDR war der mächtigste Medienkonzern in Mitteldeutschland. Es gab wenig zu meckern, keine Wolke am Horizont. Was lag näher, als 2009, am Ende meiner dritten Amtszeit, nach achtzehn Jahren mit fünfundsechzig zufrieden und von allen Seiten gelobt in den Ruhestand zu gehen.
Aber man weiß es ja:Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Für Intendanten gibt es keine Altersgrenze. Dieter Stolte hatte beim ZDF zwanzig Jahre gemacht und ein gewisser Bausch beim Süddeutschen Rundfunk, allerdings vor langer Zeit, sogar einunddreißig. Er verabschiedete sich dann mit dem liebenswürdigen Satz: »Wenn ich sehe, wer heute alles Intendant wird, geh ich gern in Pension.« Wie auch immer, ich ließ mich verführen, als man mich bat zu bleiben. Es lief ja gut, man kam aus mit mir, und Nachfolgefragen sind im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nie ganz einfach. Natürlich hat es mir auch geschmeichelt, dass ich offenbar so unverzichtbar war, und so trat ich denn tatsächlich noch einmal an und bewarb mich
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