Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
es sich schon seit einiger Zeit angedeutet. Ein ziehender, später stechender Schmerz, erst nur gelegentlich, dann immer häufiger und schließlich dauernd. Es war schon noch auszuhalten, aber es war extrem hinderlich. Ich brauchte den Arm und damit die Schulter ja ständig – um den Rollstuhl zu bewegen, um mich ins Auto zu hieven oder ins Bett oder auf die Toilette. Mit Schonen, wie immer empfohlen wurde, war da nicht viel. Ich ließ mir Spritzen geben, das hielt dann eine knappe Woche, dann war die nächste fällig. Schließlich ging ich ins Krankenhaus. Ein junger Doktor nahm mich mit zum Röntgen und brach, als er die Bilder sah, in fröhliches Entsetzen aus: »Um Gottes willen, wie sieht denn Ihre Schulter aus! Die Sehnen sind ja völlig ausgefranst. So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen!« Das war psychologisch vielleicht nicht besonders geschickt, aber ich zeigte Wirkung. Hier musste offenbar etwas geschehen.Ich wurde zu Dr. Hammer geschickt, der in Leipzig eine Notfallklinik leitete und der in den kommenden Jahren mein Freund und medizinischer Berater werden sollte. Er sah sich die Bilder an und riet mir, schleunigst nach Salzburg zu gehen, dort gebe es an der Universitätsklinik einen Prof. Resch, den man den europäischen Schulterpapst nenne. Der solle sich das zumindest einmal ansehen. Herr Pinkert fuhr mich nach Salzburg, und Prof. Resch behielt mich gleich da. Am 9. Februar 2005 wurde ich operiert. Resch machte die Schulter wieder funktionsfähig, indem er einen Teil des Brustmuskels nach oben zog und irgendwo hinten am Schulterblatt wieder antackerte. Oder so ähnlich. Schon eindrucksvoll, was die zeitgenössischen Mediziner alles zustande bringen.
Als ich am 24. Februar wieder entlassen wurde, war die Schulter repariert, aber ich durfte den Arm nicht bewegen. Alles war bandagiert und am Brustkorb festgezurrt. Das ist schon für einen Fußgänger lästig, aber bei mir war es eine mittlere Katastrophe. Ich war völlig außer Gefecht. Für jeden Handgriff brauchte ich Hilfe. Ich hatte damals zwar eine italienische Freundin, die sich in südländischer Fürsorglichkeit um mich kümmerte, und ich hatte Frau Czech, die täglich mit den wichtigsten Akten aus dem Büro kam und mir half, mein grünes »R« auf die Vorlagen zu malen. Aber das reichte alles nicht. Man setzte mich schließlich in einen Elektrorollstuhl, den man über einen Stick mit der linken Hand spielend leicht bewegen konnte. Das war ziemlich vergnüglich. Das Gerät hatte eine unheimliche Beschleunigung, in zehn Sekunden von null nicht gerade auf hundert, aber ganz schön flott. Die Spuren sind heute noch an meinen Türrahmen zu sehen. Dieser Schaden wäre zu verkraften gewesen. Etwas anderes war heimtückischer. Wenn man im Rollstuhl sitzt, bewegt man sich normalerweise automatisch immer ein wenig, durch Aufstützender Arme zum Beispiel oder durch Vorbeugen. Man sitzt nie ganz still und entlastet auf diese Weise beiläufig sein Gesäß. Das war jetzt anders. Das Ergebnis war katastrophal. Ich spürte es nicht, der Pflegedienst erkannte es nicht – ich bekam, Schrecken aller Querschnitte, einen Dekubitus, eine offene Stelle am Gesäß. Wir haben versucht, die Sache mit Hausmittelchen wieder in den Griff zu bekommen, vom Melkfett bis zum Kamillentee, keine Chance. Dr. Hammer ließ mich schließlich zum MRT bringen. Als sich dort zeigte, dass das Sitzbein schon angegriffen war, blieb keine Wahl. Wieder Krankenhaus, diesmal die Universitätsklinik in Leipzig. Wieder Operation, diesmal die Rückseite. Dabei ist die OP selbst das geringste Problem, das haben die Leipziger Doktoren vorzüglich gemacht. Aber danach, das Verheilen. Man liegt natürlich nicht immer auf dem Bauch, man bewegt sich falsch, man steht zu früh auf – mit dem Ergebnis, dass die frische Wunde immer wieder aufreißt und sogar größer wird. Als ich einmal mit dem Rollstuhl ins Badezimmer fuhr, habe ich eine rote Blutspur hinter mir hergezogen. Ich war ziemlich erschrocken.
Die Sache zog sich hin. Am 18. März war ich eingeliefert worden, jetzt war Mitte Mai, und ich lag immer noch in der Klinik. Das wurde langsam problematisch. Mein Fernbleiben wurde im MDR allmählich zur Kenntnis genommen. Ich tat deshalb dasselbe, was Wolfgang Schäuble ein paar Jahre später auch getan hat – ich ließ mich auf eigene Verantwortung zu früh entlassen. Ich wollte (und ich musste) wieder ins Büro. Damals hatte ein neues Verfahren zur schnelleren Wundheilung gerade
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