Gestatten, dass ich sitzen bleibe: Mein Leben (German Edition)
seite stehen sie?‹ ›ich stehe immer auf meiner seite.‹« – »gottfried der große‹ (mop sternheim)« – »›benn war zu reaktionär, um nazi zu sein‹ (f. j. raddatz).«
So weit, so gut. Bis dahin war alles freundlich. Ich war trotz meines in dieser Szene ja eher verdächtigen Berufs ein relativ akzeptiertes Mitglied der Twitter-Gemeinde. Aber man soll diese Gemeinde nicht unterschätzen. Bei Facebook, dem anderen großen Social Network, findet man nette Leute, sie bedienen sich keiner Unflatsprache, behandeln einander respektvoll, freunden sich miteinander an, Sozialneid ist kaum spürbar, Erfolg kein Makel. Bei Facebook, hat Else Buschheuer einmal geschrieben, der ich diese Facebook-Twitter-Analyse verdanke, »wird man nicht verlacht, wenn man den Kleinen Prinzen als Lieblingsbuch hat. Facebook glaubt an das Gute im Menschen oder tut wenigstens so. Anders bei Twitter. Ein Twitterer hat keinen Respekt vor der Lebensleistung anderer, er strebt – jenseits von Twitterruhm – auch keine eigene an. Er bekennt sich nicht zu dem Staat, in dem er lebt. Er kultiviert seine Verhaltensstörungen. Meckern, verdächtigen, anheizen, diffamieren – kann man alles im Liegen tun. Und anonym. Ein Klick und zack! Wer nicht auf Linie ist, wird entfolgt und geblockt. Hier, friss, das ist unsere Ideologie. Denkst du, du bist was Besseres? Bist du etwa anderer Meinung? Benutzt du Worte, die auf unserer Sperrliste stehen?Hast du einen Humor, den wir ablehnen? Verkehrst du mit Personen, auf deren Verachtung wir uns verständigt haben? Dann verpiss dich!«
Mir ist dieses raue Klima beim Lesen vieler Tweets aufgefallen. Leibhaftig erfahren habe ich es, als ich einen Witz ins Netz stellte, der ideologisch in die falsche Richtung ging. Nachdem Ex-Bundespräsident Wulff in einer Rede zum Tag der Deutschen Einheit behauptet hatte, der Islam gehöre zu Deutschland, twitterte ich: »einheitstag 2030: bundespräsident mohammed mustafa ruft die muslime auf, die rechte der deutschen minderheit zu wahren.«
Trotz gründlichster Gewissenserforschung kann ich das Späßchen immer noch nicht besonders verwerflich oder rassistisch finden. Aber ich hatte Twitter-Ideologie verletzt. Sofort brach das los, was man in der Fachsprache einen Shitstorm nennt. Nur zwei Minuten nachdem ich am heimischen MacBook den Tweet gepostet hatte, klingelte das Telefon. Meine Sekretärin war dran: »Ob ich soeben bei Twitter …?« In kürzester Zeit prasselten Hunderte von Tweets auf mich ein, die meisten voll Empörung und Verachtung: »skandalös – und so einer ist intendant des mdr. fragt sich nur, wie lange noch … – sie sollten ihren hut nehmen und zurücktreten! – scheiss nazi! – der erste fernsehintendant, den ich jetzt hochoffiziös entfolge – schade, dass sie unter dem deckmantel des mdr eine spaltung der gesellschaft unterstützen – dieser tweet ist nicht witzig und eines ard intendanten unwürdig – g. e. z. subventionierter rassismus – herr reiter, mit verlaub, sie sind ein arschloch!«
Und so weiter und so fort. Ich war ziemlich überrascht. Nur ganz verhalten meldeten sich ein paar Gegenstimmen: »böser humor muss doch erlaubt sein – da rollt er wieder der twitter-empörungstsunami. bah, bin ich angewidert – grille gerade mit muslimen. die finden den tweet lustig –lassen sie sich bloß nicht einschüchtern von den linken tugendterroristen!«
Ich wurde durch den Shitstorm als twitternder Intendant bundesweit bekannt. »Focus«, »Spiegel«, fast alle Tageszeitungen stiegen ein und berichteten über meinen schlechten Witz-Geschmack. Mich stört so etwas nicht, aber die Diskussion hat ein Problem deutlich gemacht. Ich hatte eigentlich als Privatperson getwittert, aber interessant wurden meine Tweets natürlich durch mein Amt als MDR-Intendant. Das galt in etwas abgeschwächter Form auch für alle anderen durch Hörfunk oder Fernsehen bekannten Mitarbeiter. Sie twitterten privat, aber irgendwie war der Sender gewollt oder ungewollt immer mit im Spiel. Wir haben daher nach einigen Diskussionen »Empfehlungen zur Nutzung von privaten Accounts in sozialen Netzwerken« erlassen. Ziel sollte eine möglichst transparente Trennung von privaten und beruflichen Aktivitäten sein. Das ist natürlich eine Gratwanderung. Ich wollte mit gutem Beispiel vorangehen und habe daher meinen Twitter-Account geschlossen.
Ich hatte eine neue Erfahrung gemacht, der Ausflug war spannend, lehrreich, unterhaltsam. Mein unseliger Hang, das
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