Gestern fängt das Leben an
die Qualität, die ich produziere.» Und so ist es auch tatsächlich. Momentanfühle ich mich wie ein zerbrochenes Barometer, dessen Skala frei im Wind flattert.
Sie nickt. «Also, ich bin zufrieden, und soweit ich weiß, sind sie es auch.»
«Was gibt es dann so Dringendes?» Ich runzle die Stirn.
«Bei mir gibt es was Neues.»
«O Gott, du bist doch nicht schwanger, oder?» Ich schlage mir die Hand vor den Mund.
«Nein, nein. Definitiv nicht.» Jo bringt ein ironisches Lachen zustande, das besagt:
Ich müsste schließlich Sex gehabt haben, um schwanger zu sein.
«Nein, hör zu. Ich habe den anderen Partnern mitgeteilt, dass ich aufhöre.» Sie senkt den Blick, knibbelt an ihren Händen herum und zupft an ihrer Nagelhaut.
«Aufhören? Womit denn?», frage ich verständnislos.
«Mit dem hier.» Sie macht eine ausladende Handbewegung. «Ich verlasse die Agentur. Ich gehe.»
«Was? Wohin denn? Wieso?», frage ich mit schriller Stimme.
Das stimmt nicht
, denke ich.
Deine Geschichte geht ganz anders! Du bleibst und entwirfst preisgekrönte, weltbekannte Werbekampagnen!
Sie räuspert sich. «Tja, ich gehe nach San José. Art hat gewonnen …» Sie zuckt die Achseln. «Wir ziehen um.»
«Aber Jo! Du liebst diesen Job!» Ich richte mich kerzengerade auf.
«Das tue ich», antwortet sie knapp. «Manchmal. Manchmal auch nicht.»
Ich sehe sie nachdenklich an. Mir ist noch nie in den Sinn gekommen, Josie könnte vielleicht nicht auf diesem Stuhl sitzen, weil sie ihren Job liebt. Natürlich war mirimmer klar, dass die Arbeit sie von ihren Kindern trennt, von ihrem Familienleben. Aber mir ist nicht klar gewesen, dass das, was sie dafür bekommt, in ihren Augen vielleicht kein ausreichend angemessener Lohn sein könnte. Dass das Leben sie einfach mitgerissen hat. Doch ehe sie es sich versieht, sind ihre Kinder erwachsen und ihr Ehemann ist ihr fremd geworden. Vielleicht haben also selbst die erfolgreichsten Kampagnen keinen richtigen Wert für sie.
«Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll», bringe ich schließlich heraus. «Aber wenn es das ist, was du willst, dann freue ich mich für dich, Jo.»
«Wer weiß schon genau, was er will.» Sie zuckt die Achseln und nimmt einen Schluck Kaffee. Ihr roter Lippenstift hinterlässt einen Ring auf dem Tassenrand. «Aber es gibt noch etwas viel Wichtigeres. Ich habe dich zu mir gebeten, weil ich mit den Partnern gesprochen habe. Wir sind uns darin einig, dass wir dich zwar noch nicht gleich offiziell zur Partnerin ernennen wollen, dir aber trotzdem gerne den Großteil meines Verantwortungsbereichs übertragen möchten.»
Mein Mund ist vollkommen trocken, und ich bringe keinen Ton heraus. Eingesperrt wirbeln die Worte wie wild in meinem Kopf herum. Moment mal! Das geht alles viel zu schnell. Diese Veränderungen, diese Verschiebungen … Nichts von alldem ist vorgesehen.
Will ich wirklich bei DM&P Partnerin werden? ,
denke ich.
Will ich weiterhin über nervigen Werbetexten brüten und mit Kunden verhandeln, die keine Ahnung haben, was sie eigentlich möchten?
Ich winde mich förmlich auf dem Stuhl. Soweit ich mich erinnern kann, war meine Arbeit in meinem alten Lebenimmer das, was ich am meisten geliebt habe. Doch jetzt erweist sich auch das als Sinnestäuschung, als falsche Erinnerung – wie schon all die anderen Dinge, die ich über mich zu wissen glaubte.
«Äh, ja … toll. Also, ich denke darüber nach, ja?», stottere ich. Es sind haargenau die Worte, die Jack vor einer Stunde gern von mir gehört hätte.
«Du wärst genau die Richtige», sagt Josie, und zum ersten Mal während unseres Gesprächs wirkt ihr Lächeln aufrichtig.
Vielleicht
, denke ich unsicher.
Aber es ist, wie Henry es mal gesagt hat: Es gilt jetzt Risiko und Nutzen abzuschätzen. Was riskiere ich mit einem solchen Schritt? Was steht auf dem Spiel? Jetzt, wo auf einmal alles, was ich je wollte, in greifbarer Nähe scheint: der Ring, der Mann, der Job?
***
Nach Büroschluss bin ich mit Megan bei
Tiffany
verabredet. Vivian hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ihre Freundinnen unsere dürftige Hochzeitsliste moniert haben. Ich soll also unsere Wünsche aufstocken.
«Liebes, sie werden euch sowieso etwas schenken», hatte sie mir auf die Voicemail im Büro gesprochen. «Also lasst sie besser wissen, was ihr haben wollt! Damit wäre wirklich allen geholfen. Sonst fehlen euch später wichtige Dinge im Haushalt.»
Wirklich komisch,
dachte ich.
Damals, als Henry und ich
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