Gestern fängt das Leben an
das nur je entgehen?
26
«Wieso kannst du nicht einfach ja sagen?», fragt Jack, als er aus der Dusche steigt und sich ein Handtuch um die schmalen, gebräunten Hüften schlingt. «Sieh mal, sie will eine Party für uns schmeißen, und sie hat schon angefangen zu planen und rumzutelefonieren. Also komm schon, Jill …» Er kommt näher und drückt mir einen Kuss auf den Nacken, als genüge das schon, um mich umzustimmen.
«Aber ich … Ich will das alles einfach nicht», sage ich und schiebe ihn weg. «Außerdem ist die Hochzeit doch schon in drei Monaten. Brauchen wir da jetzt wirklich noch eine Verlobungsfeier?»
Ich hatte genug Brautmagazine gelesen, um zu wissen, dass Verlobungspartys zur
Verlobung
gefeiert wurden und nicht, weil die Mutter des Bräutigams mal wieder nach einer Möglichkeit sucht, sich in eine Beziehung einzumischen und die Leere bis zur Hochzeit zu füllen.
Jack macht ein beleidigtes Gesicht.
«Wie geht es mit dem Schreiben voran?», frage ich in der Hoffnung, vom Thema abzulenken. Außerdem hoffe ich wirklich, dass Jack im neuen Jahr endlich in die Gänge kommt. Ob mit dem Schreiben oder sonst etwas in seinem Leben.
Aber er ignoriert mich einfach.
«Es wird eine kleine, geschmackvolle Feier», legt er nach und geht in den Flur, um die Sachen von der Reinigung zu holen.
«Das hat doch nichts mit der Größe zu tun.» Ich folge ihm, als mein Blick zufällig auf die Uhr am Receiver des Fernsehers fällt. «Scheiße! Ich muss los!»
«Wir sprechen nachher nochmal drüber, ja?», fragt er.
«Wieso denn? Du kennst meine Meinung», antworte ich, fahre hektisch in den Mantel und reiße die Wohnungstür auf. Mir ist klar, dass es im Grunde engstirnig ist, diese Party abzulehnen. Aber für mich ist es eine gute Gelegenheit, endlich damit zu beginnen, nein zu sagen. Ich will schließlich eine bessere Version meines alten Ichs werden.
«Ach, komm schon, Jill.» Jack schlingt die Arme um meine Taille und küsst mich auf den Mund. «Überleg’s dir nochmal, ja?»
«Wirklich, Jack, es gibt nichts zu überlegen», sage ich gepresst. «Ich habe schon genug um die Ohren: deine Mutter mit ihrer ständigen Hochzeitsplanerei, den Wahnsinn in der Agentur … Eine Verlobungsfeier hat mir gerade noch gefehlt!»
«Denk wenigstens darüber nach», ruft er mir durch die offene Wohnungstür hinterher, als ich schon über den Flur Richtung Lift hetze. Ohne eine Antwort springe ich in den Fahrstuhl nach unten.
Ich muss mich beeilen, rechtzeitig ins Büro zu kommen. Josie hat mir aufs Band gesprochen, dass sie mich um neun Uhr sprechen will. Auch wenn ich nicht genau weiß, weswegen, vermute ich stark, dass das Coke-Team mit dem einen oder anderen Aspekt unserer Ideen für die Frühjahrskampagne nicht wirklich zufrieden ist.
Man sollte meinen, es wäre ein Kinderspiel, Anzeigen zu entwerfen, die ich alle schon mal gesehen habe. UnzähligeStunden habe ich mit dem Versuch verbracht, mich an Werbespots, Print-Layouts und Werbetexte von vor sechs Jahren zu erinnern. Aber ich kann es einfach nicht. Wie bei so vielen anderen Details in meinem Leben gibt es auch hier zahlreiche Einzelheiten, die in meinem Gehirn offensichtlich nur temporär gespeichert wurden.
Also bin auch ich einzig und allein auf meine Vorstellungskraft und ein gewisses Talent angewiesen. Und deshalb befürchte ich jetzt, während ich im Laufschritt das Bürogebäude betrete, dass meine Kreativität schlicht und ergreifend nicht reicht.
Als ich ihr Büro betrete, blickt Josie zum Fenster hinaus.
Ich klopfe an den Türrahmen, um mich bemerkbar zu machen. Sie dreht sich um und lächelt schief. Trotz einer gewissen Bräune ihrer Haut wirkt sie unter der Farbe irgendwie grau und fahl.
Oder ist sie sauer auf mich?
«O Gott, ich habe irgendwas vermasselt, stimmt’s?», frage ich, ehe sie das Wort ergreifen kann. «Coke findet die neuen Ideen schrecklich. Ach, Jo, es tut mir so leid! Aber ich habe das Gefühl, mich bei der neuen Kampagne nur noch im Kreis zu drehen …» Entmutigt lasse ich meine Tasche zu Boden fallen und sinke auf den Besucherstuhl.
«Ich habe nichts in der Richtung gehört», sagt sie überrascht. «Eigentlich war ich bis eben der Meinung, dass deine Vorschläge gut sind. Ziemlich gut sogar.»
«Oh! Also, äh … Vielleicht habe ich einfach die Perspektive verloren. Weißt du, wir haben so hart gearbeitet in der letzten Zeit, dass ich mir vorkomme wie in einem Vakuum. Ich habe überhaupt kein Gefühl mehr für
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