Gestern fängt das Leben an
heirateten, ist es genau darauf hinausgelaufen.
Allerdings vermisste ich die Platzteller und silbernen Kerzenleuchter erst in dem Augenblick, als wir nach Westchester zogen und ich mich in eine perfekte Hausfrau verwandelte. EineHausfrau, der das Muster ihres Geschirrs auf einmal genauso wichtig war wie ihre perfekt manikürten Fingernägel.
Jack hat sich vor dem Besuch bei
Tiffany
mit der Ausrede gedrückt, der Redaktionsschluss dulde keinen Aufschub. Und eigentlich kann ich es ihm nicht übelnehmen.
Gegen achtzehn Uhr verlasse ich das Büro. Der Himmel hängt voller schwarzer Wolken, und die Straßen sind nur noch von Laternenlicht beleuchtet. Mit der arktischen Luft aus dem Norden ist auch der Schnee auf den Gehwegen wieder festgefroren. Vorsichtig schlittere ich auf
Tiffany
zu und setze mit ausgebreiteten Armen behutsam einen Schritt vor den anderen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Megan wartet an der Ecke der 57. Straße und Fifth Avenue. Sie trägt eine Fellmütze und hat sich in einen langen Daunenmantel eingehüllt, der ihren inzwischen bestimmt schon gerundeten Bauch kaschiert. Sie winkt mir schon von weitem zu und kommt über die Straße gelaufen.
Gerade will ich zurückwinken, als ein Auto mit scharfem Bremsenquietschen zum Stehen kommt. Das schrille Hupen eines Taxis ist zu hören und das grauenhaft mahlende Knirschen von Metall. Dann vernehme ich von überall entsetzte Schreie, bis sich auf einmal alles um mich herum verlangsamt. Vor meinen Augen blitzen undeutliche Gestalten auf, die wie wild gestikulieren. Ich sehe Glassplitter auf der Straße. Meine Beine sind wie Blei. Und während ich mich verzweifelt vorwärtsschiebe, habe ich das Gefühl, durch zähflüssige Zeit zu waten. Ich suche Megan, aber sie scheint verschwunden. An der Ecke, wo sie eben noch stand, hat sich ein Taxi in einen Briefkastenverkeilt. Der Unfall wird sofort von einer Menschentraube umringt.
«Ich habe den Notarzt gerufen!», schreit ein älterer Mann.
Wie aus der Trance befreit, lässt mich meine Körperstarre plötzlich frei, und ich renne über die Straße, dränge mich durch die Menge und verschwende keinen einzigen Gedanken mehr an den glatten, heimtückischen Gehsteig unter meinen Füßen.
Megan und zwei andere Personen liegen am Boden. Alle drei bluten, und alle drei sind bewusstlos.
Ich stoße einen erstickten, verzweifelten Schrei aus und knie mich neben sie, um sie zu berühren. Aber jemand zerrt mich zurück.
«Nicht anfassen!», sagt der Fremde. «Sonst machen Sie es vielleicht nur schlimmer.»
Die Minuten wirbeln durcheinander. Ich verliere jegliches Zeitgefühl. Irgendwann nähern sich heulende Sirenen. Sanitäter springen aus ihren Fahrzeugen, und der Kreis der Schaulustigen weitet sich, um die Männer durchzulassen. Die Rettungshelfer machen sich sofort ans Werk. Sie ertasten den Puls, bewegen vorsichtig Gliedmaßen und versuchen bei dem älteren Mann, der im rechten Winkel zu Megan liegt, eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Schließlich beginnt er zu husten.
«Sie ist schwanger!», rufe ich den beiden Sanitätern zu, die Megan auf eine Liege heben. «Sie ist schwanger!»
Ich sehe den Schrecken auf ihren Gesichtern. «Kennen Sie die Frau?», fragt einer.
Ja, nicke ich, unfähig, mehr zu sagen, weil sich sogleich ein erdbebenartiges Schluchzen in mir Bahn bricht.
«Kommen Sie mit.»
Ein starker Arm fasst mich am Ellbogen, und ich werde in einen heulenden, viel zu lauten Krankenwagen geschoben. Die beiden Männer folgen mit der Trage direkt hinterher.
Megan hat die Augen noch immer geschlossen. Auf ihrer Stirn verläuft ein blutiges Rinnsal. Einer der Männer setzt ihr eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht. Der andere schlägt derart fest die Tür ins Schloss, dass der ganze Krankenwagen erzittert.
Die Sirene heult weiter, durchschneidet die eisige Abendluft. Wir rasen die Avenue hinunter und über die vereisten Straßen, dem Krankenhaus entgegen. Ich bete, dass wir schnell genug sein mögen, die Zeit einzuholen und damit den Schaden abzuwenden, den wir alle zweifelsfrei vor Augen haben.
***
Später sitze ich im Wartezimmer und verhandle mit Gott. Ich verhandle mit ihm über die Zeit, über unsere geschenkte Lebenszeit.
Tyler geht draußen vor der Notaufnahme nervös auf und ab. Jack ist irgendwohin verschwunden, um Kaffee aufzutreiben.
Ich bin allein mit meiner Schuld und meiner Schande.
Bitte, lieber Gott
, bete ich.
Mach, dass Megan gesund ist und ihr Baby behält. Ich werde Jacks Mutter
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