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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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mal Henry ist hier.
    Wo sind die Menschen, die ich am meisten brauche?
    Plötzlich wird mir das alles zu viel: diese fremden Gesichter, diese Party, diese Verlobung mit Jack   …
    So muss es nicht sein
, höre ich eine Stimme in mir.
Welchen Weg du auch einschlägst, Jillian, du hast immer die Wahl: Ballerinas statt High Heels. Katie liebevoll umhegen, statt sie zu erdrücken. Grau statt Schwarzweiß.
    Plötzlich spüre ich Jacks Hand auf meiner Schulter. Der Druck löst einen unerklärlichen Schmerz in mir aus.
    Ich habe ihm gesagt, was ich wollte
, denke ich.
Er hat trotzdem nicht zugehört. Dabei habe ich endlich meine Stimme gefunden. Endlich habe ich aufgehört, so zu tun, als wäre ich das, was er in mir sehen wollte. Doch das scheint nicht zu reichen.
    Mit einem Mal bin ich wieder ganz wach. Ich mache auf dem Absatz kehrt, fliege förmlich zur Tür hinaus, durch den gemütlichen Teesalon hindurch, an der staunenden Bedienung vorbei und durch das imposante Foyer. Ich höre, wie Jack hinter mir her ruft, mich zurückruft und mir sogar durch die Empfangshalle hinterherläuft. Aber als ich auf die Straße ins Freie laufe, bleibt er im Eingang stehen, unwillig, mich bis an mein Ziel (welches es auch immer sein mag) zu verfolgen.
    Dann höre ich plötzlich eine andere Stimme hinter mir. Ich drehe mich um und entdecke meinen Vater, der mir dicht auf den Fersen ist.
    «Tu das nicht!», keucht er atemlos. «Lauf nicht davon, nur weil du glaubst, du hättest keine andere Möglichkeit. Du weißt es besser. Ich hätte dir das schon vor Jahren sagen müssen, aber Reden war noch nie mein Ding: Du bist besser als sie.»
    Ich schüttle den Kopf. «Nein, ich gehe nicht, weil ich keine andere Möglichkeit habe. Ich gehe,
weil
ich sie habe!»
    Er zögert, und ich sehe förmlich, wie sich etwas in ihm verändert. Im nächsten Augenblick verwandelt sich sein besorgtes Gesicht in ein listiges Lächeln. Er wirft einen Blick zurück zu Jack, der uns aus scheinbar sicherer Entfernung durch die Scheiben beobachtet. Dann zieht Dad mich fest an sich.
    «Geh!», sagt er und löst die Umarmung. «Geh, wohin auch immer diese Möglichkeit dich tragen wird.»
    Ich nicke ihn dankbar an. Im nächsten Augenblick renne ich auch schon wieder die Avenue hinunter, über die Straßen New Yorks, außer Atem, frierend und schwitzend zugleich. Ich renne und renne und renne, so wie ich es schon immer getan habe. Nur dass diesmal ein winziger Samen in mir keimt. Ein Samen mit dem Wissen in sich, dass ich nicht nur vor etwas weg-, sondern auch auf etwas Neues zulaufe.

28
    Ich laufe endlos durch die Straßen, ohne zu wissen, wohin ich gehen kann oder was ich tun soll.
    Zu Hause würde mich nur Jack und seine unmögliche Passivität erwarten. Er würde die Hände heben und sagen: «Beruhige dich wieder, Baby. Das ist doch keine große Sache!» Und dann würde er versuchen, alles einfach beiseitezuwischen, indem er mir einen Kuss gibt oder so tut, als sei er an allem völlig unschuldig.
    Langsam fürchte ich, er hätte immer nur meine Mundbewegungen beobachtet, mir aber nie wirklich zugehört.
Vielleicht
, denke ich,
hat er deshalb auch nie den Versuch unternommen, mich zu etwas zu drängen, was meine Mutter betrifft. Weil er gar nicht wusste, wie es in meinem Innersten eigentlich aussieht. Weil er keine Ahnung hatte, was das Beste für mich ist. Vielleicht waren seine Gefühle für mich einfach nicht stark genug. Und vielleicht habe auch ich ihn nie genug geliebt. Vielleicht ist es also schon damals viel einfacher gewesen, als ich immer geglaubt habe – so wie es Henrys mathematische Lebensformeln einem weismachen wollen.
    Der Gedanke bewegt etwas in mir, und zum ersten Mal seit sieben Jahren regt sich in mir die Ahnung, dass wir damals nicht ohne Grund gescheitert sind. Es war eine Beziehung, die es nicht wert war, gerettet zu werden. Es war eine Beziehung, die lediglich eine Stufe auf dem Weg zu etwas Besserem darstellte. Damals und heute genauso.
    Nachdem ich fast die ganze Nacht ziellos durch die Gegend gestreift bin, finde ich mich irgendwann vor Henrys Haus wieder. Vielleicht hätte ich von Anfang an dort sein sollen. Denn ich kann mit der eisigen Luft an den Ohren und den schweren Trümmern meiner Beziehung auf den Schultern schlicht nicht länger ignorieren, dass diese Rückkehr in die Vergangenheit vermutlich ein einziger, schrecklicher Fehler gewesen ist.
    Nicht weil die Dinge am Ende eine überraschende Wendung nahmen. Nein, sondern weil

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