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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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noch eine neblige Erinnerung ist? Eine, die sich vielleicht auflöst, wenn die Sonne aufgeht und der Morgendunst sich hebt?

8
    Die Zukunft im Stich zu lassen und sich in die eigene Vergangenheit einzufügen, verursacht ein verwirrendes und konstantes Gefühl von Déjà-vu-Erlebnissen. Ich komme mir vor wie die Laborratte in ihrem Laufrad, die wieder und wieder an der gleichen Szenerie vorbeirennt. Nur dass der Wissenschaftler bei jeder Runde gerade so viel an der Kulisse verändert, dass ich mich frage, ob ich mir die Wiederholungen nur einbilde oder ob alles tatsächlich so ist, wie es schon immer war.
    Einiges macht Spaß: Ich kann mir endlich die alten Folgen von
Buffy   – Im Bann der Dämonen
ansehen und Jack völlig sprachlos machen, indem ich mit ihm wette, wer bei
Survivor
abräumt.
    «Wie zum Teufel   …?», fragte er neulich und riss die Arme in die Luft. «Mit welchen fiesen Voodoo-Tricks hast du das diesmal rausgekriegt?»
    Ich grinste und biss in die saftige Käsepizza, die wir uns jeden Donnerstag zu unserem
Survivor- Abend
kommen lassen.
    «Einfach nur gutes Auffassungsvermögen», erklärte ich. «Entweder, man kann das Verhalten von Menschen deuten, oder man kann es nicht.»
    «Ha-ha», machte er skeptisch. «Hast du etwa wieder heimlich recherchiert?»
    «Nein, ich schwör’s!» Ich lachte und genoss meinen Triumph.
    «Na gut. Ich schulde dir zwanzig Minuten Rückenmassage vor dem Schlafengehen.»
    Er stand auf, um mir noch eine Diet Coke zu holen (dank meines Jobs sind wir im Besitz endloser Vorräte) und küsste mich im Vorbeigehen flüchtig auf die Lippen. «Aber eines schwör ich dir!», fügte er hinzu. «Wenn ich nicht bald mal gewinne, suche ich deine ganze Festplatte nach handfesten Beweisen für regelwidrigen Betrug ab!»
    «Da kannst du lange suchen», säuselte ich. «Manches ist einfach nur Begabung. Man hat sie, oder man hat sie nicht.»
    Aber abgesehen von diesen amüsanten Momenten beinhaltet der Besuch des Lebens, das man schon seit langem bestritten hat, verstörende Elemente. Zum Beispiel habe ich manchmal das Gefühl, verfolgt zu werden oder von jemandem beobachtet zu werden, bis mir klarwird, dass ich selbst dieser Jemand bin. Außerdem habe ich permanent das Gefühl, ein gefährliches Tauziehen mit dem Schicksal zu veranstalten, und ich frage mich, ob alles, was mir so passiert, vorherbestimmt ist. Ob ich, wenn ich auf dem Weg in die Agentur bei Starbucks haltmache, genau das Gleiche um genau die gleiche Uhrzeit vor sieben Jahren auch getan habe. Oder ob ich, wenn ich bei meinem Kollegen Gene am Schreibtisch stehen bleibe, um Klatsch und Tratsch auszutauschen, in Wirklichkeit nur Informationen wiederkäue, die meine Wahrnehmung schon einmal gefiltert hat.
    Ich habe festgestellt, dass es unmöglich ist, sich an sämtliche Einzelheiten meines früheren Alltags zu erinnern. Mit allem ist zwar ein vages Gefühl der Vertrautheit verbunden, doch nur Weniges scheint wirklich festgenageltund greifbar. Das verursacht mir das Gefühl, in Treibsand zu schwimmen: Mal hege ich den sehnlichen Wunsch, unterzugehen und mich dem Schicksal zu ergeben, und mal den Drang, strampelnd und um mich schlagend herauszukommen und dem Schicksal eins auszuwischen.
    Vor allem aber lebe ich in ständiger Angst, mich zu verraten.
    Dennoch komme ich nicht in Versuchung, mein Geheimnis preiszugeben, nicht mal Megan gegenüber, die mir all ihre Geheimnisse anvertraut, und auch nicht Jack, der ein noch viel tollerer Freund ist als in meiner Erinnerung.
    Also reiße ich mich zusammen, verrate nicht, wie der Film endet, fahre auch Jack nicht an, weil ich die Geschichte von seinem Chef und der Redakteurin schon lange kenne, und lasse bei meinem Team im Büro auch keine Ungeduld erkennen, weil ich sämtliche Schritte zur Entwicklung einer meisterlichen Coke-Kampagne schon seit Ewigkeiten im Gedächtnis habe, während sie den ganzen Zirkus zum ersten Mal mitmachen.
    An diesem Montagmorgen grüble ich im Bus auf dem Weg in die Agentur eingehend über das Schicksal und meine Rolle nach. Es ist ein drückender, schwülheißer Tag, und die stickige Luft bleibt am Körper kleben wie ein zäher Kaugummi. Im U-Bahn -Netz gab es einen Wasserrohrbruch, weshalb sich jetzt Horden New Yorker an den Bushaltestellen drängeln und sich mit ihren Zeitungen Luft zufächeln, während sie auf den nächsten Bus warten.
    Mein Discman dröhnt in meinem Ohr (keine iPods! Aber ich habe mir vorgenommen, in Apple zu investieren!), und ich

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