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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
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wir einander vor fünfundvierzig Hochzeitsgästen das Jawort gaben, konnte man die blütenschwere Süße fast greifen, die die Kirche und unseren Schwur einhüllte.
    Die Feier mit Freunden und Familie fand im Garten meines Vaters statt. Es war derselbe Garten, in dem Henry später mit Katie Jagd auf Ostereier machte. (Die von mir in stundenlanger Kleinarbeit gefärbt worden waren und meine Finger für Tage in Pastelltöne tauchten.) Fackeln erhellten am Abend die Wiese, die Tische waren mit üppigen Gardeniengestecken dekoriert, und die Gäste amüsierten sich auf dem hölzernen Tanzboden, den mein Vater am Vortag ausgelegt hatte. Es war ein intimer, gemütlicher, allem Anschein nach vollkommener Abend. Wer uns bei unserem ersten Tanz zusah oder beobachtete, wie Henry mich zärtlich auf den Kopf küsste, ehe er aufstand, um seine Rede zu halten, glaubte gerne, dass wir über die Maße mit Liebe gesegnet waren. Und, soweit ich mich erinnern kann, dachte ich damals das Gleiche.
    «Ich bitte um Verzeihung, wenn ich jetzt sentimental werde» , setzte Henry zu seiner Rede an. «Denn das dürfte für alle, die mich kennen, sicher alarmierend sein.»
    Die Gäste kicherten belustigt, weil sie wussten, wie wahr das war. So viele Eigenschaften Henry auch ausmachten – logisches Denken, Präzision, Loyalität – , überschwängliche Emotionalität gehörte nicht dazu.
    «Wie die meisten von euch wissen, bin ich Einzelkind» , fuhr er fort. «Was gewiss seine Vorteile hat. Allein die ganzen Spielsachen, die man als Kind für sich alleine hat! Aber es hat auch seine Schattenseiten. Es gibt keine Geschwister, die mit einem spielen, keinen kleinen Bruder
zum Verprügeln   …» Er wartete, bis das Gelächter verklungen war. «Aber der größte Nachteil ist, dass man sein Leben lang auf der Suche nach einem Menschen ist, der einem immer zur Seite steht, der einem den Rücken stärkt. Ich habe sehr viel Zeit mit dieser Suche verbracht.» Er räusperte sich und sah mich an.
    Ich versuchte, den dicken Kloß hinunterzuschlucken, der mir in der Kehle saß.
    «Und dann habe ich Jillian getroffen» , erklärte er. «Wenn ich vor lauter Arbeit mal nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht, oder wenn ich jemanden zum Anlehnen brauche, ist sie da. Sie ist einfach immer für mich da. Und das ist für jemanden wie mich, der sein Leben ohne die Selbstverständlichkeit, dass immer jemand da ist, gelebt hat – das ist jetzt kein Vorwurf, Mom und Dad! Für jemanden wie mich bedeutet das alles. Jillian ist alles für mich!»
    Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte zu ihm auf.
    «Und so erhebe ich mein Glas auf dich, Jill. Du bist der Mensch, der die Lücke gefüllt hat, die ich einunddreißig Jahre lang nicht füllen konnte. Ich liebe dich mehr als den Mond und die Sterne! Auf meine Jillian!»
    Unsere Gäste reagierten mit begeistertem Applaus und hoben die Champagnergläser. Henry beugte sich zu mir herunter und küsste mich leidenschaftlich, bis wir uns irgendwann wieder voneinander lösten.
    Ja, man konnte unser gemeinsames Glück ganz deutlich spüren, und wenn es für uns möglich war, dann war es das für unsere Gäste auch.

11
    Der sichere Griff, mit dem ich meine neue Zukunft in Händen gehalten habe, fängt langsam an, sich aufzulösen. Anfangs war ich in der Lage, den Großteil der Ereignisse, die vor mir lagen, aus meiner Erinnerung vorherzusehen.
    Gut, an die Kleinigkeiten – wer bei mir in der Agentur vorbeischaute, wohin Jack und ich zum Essen gehen würden – konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, aber die großen, die wichtigen Dinge, die waren präsent. Und die meisten davon ließen sich bis jetzt ziemlich leicht umgehen: ein ohrenbetäubender Streit über einen gefürchteten Besuch im Wochenendhaus von Jacks Eltern. (Dieses Mal willigte ich einfach stumm in zwei Tage Freiheitsentzug ein, anstatt mich auf bissige Kommentare oder hysterisches Geschrei einzulassen.) Oder der Eklat in der Agentur wegen eines verlorengegangenen Films vom Foto-Shooting. (Fragen wir beim Taxiunternehmen nach, schlug ich diesmal gleich am Anfang vor.)
    Ja, hinterher ist man immer schlauer. Das Sprichwort hat durchaus seine Berechtigung.
    Aber jetzt fangen die Dinge langsam an, Wellen zu schlagen. Wie ein winziger, fast unsichtbarer Tropfen, der in einen Teich fällt und schließlich das ganze Wasser in Bewegung versetzt. Irgendwann verändern diese unmerklichen Verschiebungen alles, was man erwartet hat.
    An diesem

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