Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allison Winn Scotch
Vom Netzwerk:
aufhört zu spielen. In der Stille schwingen elektrisierte Erwartungen.
    «Was machst du denn hier?», gebe ich ehrlich überrascht zurück, so schnell, dass ich es nicht mehr zurücknehmen kann. Denn Henry hat hier definitiv nichts verloren. Wir haben uns nämlich gar nicht hier kennengelernt. Es hat ganz anders angefangen.
    Blitzartig taucht in meinem Kopf die Frage auf, wie oft ich Henry in meinem früheren Leben wohl um Haaresbreite verpasst habe. Ob ich ihm schon vorher hätte begegnen können? In der Nachbarschaft, beim Einkaufen, im Fitnessstudio, womöglich auch im Bus, ohne ihn wahrzunehmen?
    «Äh, wie bitte?» Er weicht einen Schritt zurück, stößt aber mit einem Gast direkt hinter sich zusammen und bleibt verdattert stehen.
    «Ich   … äh   … also.» Ich bin unfähig zu sprechen. Ich kann ihn nur anstarren.
Henry! So sah er aus, als wir uns kennenlernten,
denke ich. Seine Augen strahlen noch voller Hoffnung auf die Zukunft. Seine Zähne wirken weißer, seine Haltung aufrechter. Noch ist keine Spur von Fältchen auf der Stirn und um die Augen zu sehen. Alles an ihm wirkt so frisch und lebendig.
Bin ich der Grund dafür, dass er dieses Strahlen verloren hat?,
frage ich mich.
Oder habe ich es einfach nicht mehr gesehen?
    «Sollte ich etwa nicht hier sein?», fragt er perplex.
    «Äh, nein. Tut mir leid.» Ich habe das Gefühl, einen Knoten in der Zunge zu haben. «Das war nicht so gemeint.»
Doch! Genauso war es gemeint! Was tust du hier? Du solltest doch   …
    «Also, um die Frage zu beantworten: Meine Firma ist einer der Hauptanteilseigner von Coke, deswegen bin ich hier. Und Sie?»
    Plötzlich wird mir klar, dass Henry tatsächlich alles Recht dazu hat, hier zu sein. Vielleicht war er vor sieben Jahren sogar auch schon hier. Ich bin diejenige, die am falschen Ort ist, die sich in Situationen und Begebenheiten einschummelt.
    «Ich, äh, ich mache die Coke-Werbekampagne.» Statt ihm in die Augen zu sehen, starre ich auf meine Hände. Deshalb registriere ich auch zuerst nicht, dass Jack just in diesem Augenblick zurückkommt. Er quetscht sich zwischen zwei Frauen durch, die so gelangweilt wirken wie ich panisch.
    «Na endlich!», sagt er. «Ich suche dich schon seit einer halben Ewigkeit.» Er hält inne und begutachtet die Situation. «Oh, tut mir leid, wenn ich unterbrochen habe. Wir sollten einander erst mal vorstellen.»
    «Ja, also das ist Henry», erkläre ich, ehe mir mein Fehler bewusst wird.
    Henry macht ein verwirrtes Gesicht. «Woher wissen Sie, wie ich heiße?»
    Scheiße!
«Das haben Sie mir doch selbst vor ein paar Sekunden gesagt», blöke ich, und meine Stimme hört sich schrill wie eine Sirene an. In meinen Achselhöhlen bricht der Schweiß aus, und mein Blutdruck explodiert fast augenblicklich. «Na, als Sie hergekommen sind! Erinnern Sie sich etwa nicht daran? Und ich habe gesagt: Ja, ich bin Jillian, von neulich aus dem Bus.»
    Er streicht sich wieder die Strähne aus dem Gesicht und durchforstet angestrengt sein Gehirn. Dann entscheidet ersich, mitzuspielen. Schließlich will er nicht unhöflich wirken und zugeben, dass er meinen Namen schon wieder vergessen hat. Henry ist einfach viel zu anständig, um sich mit jemandem, den er gerade erst kennengelernt hat, auf eine Diskussion einzulassen.
    «Das muss an diesen Drinks liegen», sagt er und hebt seinen Martini. Leider ist die Bewegung zu schwungvoll, und er verschüttet etwas davon auf seinem Handgelenk. «Ich sollte definitiv aufhören   –»
    «Also ich finde, man kann davon nie zu viel haben», springt Jack ihm bei und schüttelt überschwänglich seine freie Hand.
    Das stimmt
, denke ich,
Jacks Nächte mit seinen Redaktionskollegen sind legendär und werden am Morgen danach meistens zutiefst bereut.
    «Tja, wenn das so ist», erklärt Henry, «sollte ich mich mal auf den Rückweg zu meinen Kumpels machen.» Er lächelt, aber es wirkt verkrampft. «War nett, Sie kennenzulernen, Jillian. Oder Sie wiederzusehen, sollte ich wohl eher sagen. Ich hoffe, es war nicht das letzte Mal.»
    Und ich hoffe, dass ich es vermeiden kann
, denke ich und versuche, die greifbare Sehnsucht zu ignorieren, die wie eine Wunde auf mir liegt.
Aber was, wenn ich es nicht kann?
     
     
    HENRY
    Henry und ich heirateten in einer weißgekalkten Kirche mit schwarzen Schindeln in Connecticut, zehn Minuten vom Haus meiner Kindheit entfernt. Inzwischen lebte mein Vater mit Linda dort. Der Florist hatte die Kirchenbänke
mit Gardenien dekoriert, und als

Weitere Kostenlose Bücher