Gestern fängt das Leben an
sich ein neues Leben aufgebaut und vielleicht sogar eine neue Familie gegründet, mit einem neuen Mann, der nicht mein Vaterist, und mit neuen Kindern, die nicht Andy oder ich sind. Es lag damals nicht daran, dass sie
keine
Familie wollte; sie wollte
unsere
Familie nicht.
Ich schnappe nach Luft, als könnte das die grausamen Gedanken vertreiben oder die Wahrheit auslöschen, die ich gerade entdeckt habe. Aber es geschieht gar nichts, nur dass mein Körper keuchend nach noch mehr Luft verlangt.
Mir ist schwindelig. Mit einem Ruck schiebe ich den Stuhl zurück und stehe auf. Er kippt und fällt um. Dann schleppe ich mich, so schnell es geht, aus dem Büro, in den Lift und raus auf die sturmgepeitschte Straße. Es regnet so heftig, dass ich das Gefühl habe, in den unerbittlichen Wassermassen, die vom Himmel fallen, zu ertrinken. Umso besser, denke ich, während ich den Block hinunterrase, dann sieht wenigstens niemand meine Tränen.
14
Das Wetter wird und wird nicht besser. Das ganze Wochenende lang höre ich den Regen auf den Kasten meiner Klimaanlage tropfen, der aus dem Wohnzimmerfenster ins Freie ragt, ein Fenster, durch das ich in diesem alten Leben unverhältnismäßig oft und lange hinausstarre. Es ist ungewohnt. Diese stille Zeit – wenn kein Ehemann umhegt werden will, kein Kleinkind gebadet werden muss –, diese Zeit, die ich keinem anderen Rechenschaft schuldig bin als mir, fühlt sich auch zwei Monate nach der Rückkehr in mein altes Leben noch komisch an. So als würde ich in zu großer Haut stecken. Ich überlege, ob ich wieder in die Agentur fahren soll, aber ich habe Angst, mich in einen Abklatsch von Josie zu verwandeln: nur Arbeit, kein Leben.
In unserem großen Haus in Westchester existierte Stillstand nicht. Es gab immer Wäsche zu waschen, Windeln zu wechseln oder Corn Flakes unter der Couch rauszuklauben. Abends versuchte ich manchmal, mit einem neuen Buch ins Bett zu gehen. Wenn Henry auf Reisen war und ich Katie gebadet (
Blubberbad! )
und ihr eine Gutenachtgeschichte (
Goodnight Moon! )
vorgelesen hatte, blieb ein wenig Zeit für mich. Aber ich habe nie wirklich herausgefunden, wie man den Schalter «Vollzeit-Super-Mutti» umlegte. Also blätterte ich meistens nur in Ratgebermagazinen oder durchforstete einschlägige Internetseiten auf der Suche nach neuen Kochrezepten oder Ideen für den nächsten Kindergeburtstag, auch wenn es bis dahin noch vier Monate waren.
Und jetzt ist einfach niemand da, auf den ich Rücksicht nehmen müsste. Die Stille wirkt beinahe greifbar. Jack kümmert sich um seine Mutter; Meg und Tyler haben sich in ihr Strandhaus zurückgezogen, um, wie sie am Telefon flüsterte, «ein Baby zu machen», und Ainsley lebt bereits in Rye.
Während ich hinaus in den Regen starre, wird mir allmählich klar, dass meine gefühlte Einsamkeit nicht erst mit der Hochzeit mit Henry oder Katies Geburt gekommen war. Nein, sie hat mich mein ganzes Leben lang verfolgt wie ein Schatten, der sich nicht abschütteln lässt.
Ein Therapeut würde mir jetzt wahrscheinlich erzählen, das läge daran, dass meine Mutter mich verlassen hat, aber da bin ich mir nicht so sicher. Vielleicht ist es auch ein Wesenszug von mir, mit dem ich schon zur Welt gekommen bin. Katie zum Beispiel war von Anfang an so lebhaft, dass ich meine innere Einsamkeit gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Ihre Schreie gingen einem durch Mark und Bein, und ihre Koliken schienen kein Ende nehmen zu wollen. Wochenlang funktionierte ich nur auf Autopilot, in deliriumhaftem Nebel. Ich wachte auf, wenn sie schrie, versuchte, sie mit meiner Brust zu trösten, nahm sie auf den Arm und schaukelte sie stundenlang, um sie zu beruhigen. Wenn das nichts half, ging ich mit ihr bei Tag und Nacht im Kinderwagen spazieren. Henry versuchte, mir zu helfen. Aber er war nun mal nicht derjenige, der sie stillte. Er hatte sie nun mal nicht neun Monate lang in seinem Bauch getragen, redete ich mir ein, wenn er vergebens versuchte, sie zu besänftigen, oder wenn er die Windeln verkehrt herum befestigte.
Die ersten Tage nach Katies Geburt zogen sich endlos hin. Ich saß auf der Veranda vor dem Haus und beschwor die Sonne, endlich unterzugehen.
Denn je eher es Abend wird, desto schneller können wir diesen grässlichen Tag abhaken
, dachte ich und ignorierte dabei geflissentlich, dass ich am nächsten Morgen wieder aufwachen würde und alles von vorne losginge.
Keiner sagt einem vorher, dass es so anstrengend wird. Keiner sagt dir, dass es das
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